Burn-Out, Depression, Panik-Attacken und allerlei psychisches Ungemach sind heute in aller Munde und gefühlt in fast jedem Gemüt. Noch vor ein paar Jahren waren höchstens mal ein paar „Andere“ betroffen, heute gibt es aber kaum noch Familien und Freundeskreise, in denen sich nicht jemand mit seinen psychischen Unzulänglichkeiten herumplagt.

Dieser Artikel ist ein Beitrag zu Sara Menzel-Berger`s Blogparade „Psychische Gesundheit im Online Business“, in der sie vor allem uns Online-Arbeitenden dazu aufruft, mitzuteilen, wie wir auf unsere psychische Gesundheit achten. Da ich die letzten paar Jahre diesbezüglich durchaus meine Herausforderungen zu meistern hatte (gerne nachzulesen -> https://www.finanzbildung.jetzt/wenn-hoeher-schneller-weiter-nicht-mehr-geht und hier -> https://www.finanzbildung.jetzt/ich-war-dann-mal-weg/, fühlte ich mich sofort angesprochen und habe alles stehen und liegen lassen, um vollkommen außerplanmäßig diesen Blogartikel zu schreiben. Manchmal bietet Dir das Leben auch einfach so eine kostenlose Therapiestunde an. 😉

Wir sind unheimlich viele

Schaut man sich die Statistiken der Berufsunfähgkeitsversicherungen an, so wird jeder klar: „Knapp jede dritte Person, die berufsunfähig wird, leidet etwa unter Depressionen, Burnout oder anderen psychischen Problemen. Vor zehn Jahren machten diese Fälle lediglich rund 20 Prozent aus.“ Krass, oder?

Und dass sind ja nur die, die tatsächlich nicht mehr (arbeiten) können. Und die versichert sind.
Die Dunkelziffer an nicht zahlenmäßig erfassten Kranken unter Nichtberufstätigen, Selbständigen und Schülern / Studenten muss erschreckend hoch sein.

Und doch denke ich: Wir sind selbst schuld. (Fast) Alle.

Wir Lifestyle-Depressiven* haben es uns selbst gemacht, das Bett, in dem wir jetzt achso hart und unbequem liegen.
Waren die Leistungsgesellschaft und der ausbeuterische Kapitalismus, den die Nachkriegsgenerationen so wunderbar kultiviert haben, die bereits sehr harte Matratze, auf die wir uns legen mussten, so haben wir uns mit der löchrigen und schnelllebigen Internet-Decke den Rest gegeben.

Wir leiden an einer chronischen Geistes-Erkältung, die über kurz oder lang unser psychisches Immunsystem in die Knie zwingt.

Unser Gehirn ist nicht gemacht für die unzähligen Anforderungen, die wir an es stellen. Warum sonst käme es wohl auf die Idee, sich die Welt im Grunde selbst zu denken (ohne Anspruch auf Realität. Hierzu ein Buchtipp: „Kein Ich Kein Problem“ von Chris Neubauer)? Wir bilden uns ein, alle alles leisten zu können (oder sollte es hier besser „müssen“ heißen?). Von der Liebe erwarten wir ewigwährendes Glück. Von der Familie traute Harmonie. Vom Freundeskreis bedingungslose Loyalität. Von unserem Körper unbedingte Funktionalität und Wohlbefinden. Von unserer Arbeit Sinnstiftung, Effizienz und natürlich – genug Geld.

Pustekuchen.

Ja, wir haben das alles verdient. Aber nicht, weil wir uns das VERDIENEN (im Sinne von „hart Erarbeiten“) müssten. Auch (und schon gar nicht!), weil wir einen Anspruch darauf hätten. Den haben wir nicht.
Denn diese Art der geistigen Gesundheit ist nichts, was wir uns einfordern könnten – es ist eine Form der geistigen Gesundheit, die wir uns nur selbst schenken können.

Mein Weg ist mein Ziel

Nachdem ich meinen psychologischen Absturz – meine Krankheit (es fällt mir immer noch schwer, es so zu titulieren und anzuerkennen) überwunden – oder vielmehr in mein Leben eingebaut – habe, kann ich Dir nur berichten, wie ich mich beschenke. Es ist kein immer gefüllter Geschenkekorb und ob mir die Geschenke immer so gefallen, kann ich Dir auch nicht sagen. Es funktioniert aber so im Moment für mich und vielleicht ist auch was für Dich dabei:

Ich bin genug.

Mein größter Durchbruch in den letzten Jahren. Da muss ich erst fast 50 werden, um mir das selbst zu erlauben. Ich bin genug, so wie ich bin. Intelligent genug. Schön genug. Erfolgreich genug. Freundlich genug. Fleißig genug. …
Ich fand es bahnbrechend, zu lernen, dieses „genug“ auch genauso uneingeschränkt zu fühlen, wie es da steht, also kein „ich bin genüg für.. “ oder „ich bin (fast) genug, damit..“ oder „wenn – dann bin ich genug.“ oder „(abschätzig) gut genug“.
Genug sein heißt für mich nicht, dass ich an mir nichts mehr verbesserungswürdig finde, weit gefehlt. Aber es gibt nichts mehr, was ich an mir oder mit mir tun muss, damit ich mich für jemanden oder etwas „gut genug“ fühlen darf. Welch eine Befreiung!

Einen Scheiß muss ich. 

Eng verwandt und doch ganz anders ist das nicht mehr müssen müssen.
Okay, ich muss meine Steuererklärung machen. Obwohl – ich kann es ja auch lassen. Nur gefällt mir nicht, was dann passiert. Also entscheide ich mich dafür, meine Steuererklärung machen zu wollen. 😉

Der einzige Anspruch, dem ich mittlerweile wirklich gerecht werden will, ist mein eigener. Und da darf ich selbst entscheiden, wie hoch ich die Latte lege und ob ich ich sie in jedem Fall so hoch lege, wie ich es früher vielleicht getan hätte.
Es ist extrem entspannend für den Geist, sich von den meisten Zwängen (alle schafft man nach meiner Erfahrung nach nicht), frei zu schütteln – vor allem von denen, die uns Andere auferlegt haben (weil sie glauben, ein Recht dazu zu haben. Hat niemand. Außer vielleicht unsere Kinder, wenn sie noch klein sind. Das wars dann aber schon.)
Also: Ich muss nicht die Welt retten. Ich muss auch keinen großen Launch machen, wenn ich keine Lust darauf habe. Ich muss nicht regelmäßig Blogartikel schreiben. Ich muss nicht jeden Kunden annehmen. Und ich muss nicht jedem gefallen. Cool!

Ich darf (auf) mich achten.

Es war ein gar nicht so kurzer Weg dahin, mir zu erlauben, dass auch ich nicht nicht Superwoman bin – und dass ich deshalb kein Stück weniger wert bin, als andere Superwomen.
Ich brauche nicht unbegrenzt leistungsfähig sein, um genug (hach, da war es schon wieder!) zu sein. Es ist nicht erbärmlich, sich nicht zu weit aus der Komfortzone heraus zu zwingen, wenn ich merke, dass es mir nicht gut tut. (Wie ich diesen vielgerühmten Coachingansatz mit der Komfort- und Wachstumszone hasse – und was es den Menschen, die dazu gar nicht bereit sind, alles an der falschen Stelle abverlangt. Zum Kotzen!). Ich darf mich trotzdem – oder gerade weil? – achten, selbst wenn ich auf mich und meine Gefühle achte.
Also: Ich bin nicht schwach, wenn ich merke, dass mir jetzt zu viele Menschen auf engem Raum sind und ich aus der Situation raus will. Ich darf auch von der schönsten Fete früh nach Hause gehen, wenn ich müde bin. Ich darf am Wochenende nicht arbeiten – oder mich entscheiden, es doch zu tun, wenn ich ganz viel  Lust darauf habe. Ich darf mein Mittagsschläfchen machten, das Handy auf lautlos schalten und Mails erst am übernächsten Tag beantworten. All das – und noch viel mehr – darf ich, weil ich heute (ein)sehe, dass Menschen, Gemüter und Geister nicht alle in gleichen Situationen gleich belastbar und gleich leistungsfähig sind. Was ich an der einen Stelle wegstecke, haut Dich vielleicht um – und was mich total antickert, entlockt Dir vielleicht ein müdes Lächeln. Es gibt keinen universellen Weg (egal wohin), es gibt nur für jeden seinen eigenen.

„Nein.“ ist ein vollständiger Satz.

Das wusste ich schon vor meiner Krankheit – und doch habe ich es erst mit meiner Krankheit in aller Konsequenz verstanden. „Nein“ ist manchmal eine lebensrettende Notwendigkeit, die Deine eigenen Bedürfnisse vor alles andere stellt. Ich weiß nicht, ob ich heute noch gesund und munter am Leben wäre, hätte ich das nicht gerade noch rechtzeitig verstanden (nicht falsch verstehen, ich war zum Glück niemals suizidgefährdet. Aber so ein Schlaganfall oder Herzinfarkt wäre bei meiner Frequenz durchaus drin gewesen.) Das Leben ist großartig, denn es macht mir ständig Angebote.. . aber ich muss sie nicht alle annehmen. Es steht nirgendwo geschrieben: „Du sollst durch jede Tür gehen, die sich dir aufmacht!“.
Dabei brauche ich auch nicht rechtfertigen, warum ich das eine oder das andere einfach nicht tun, nicht denken oder nicht machen möchte. Ich muss nur selbst sehr fest hinter mir stehen und wirklich ernst meinen, was ich da verneine. Wenn mein Bauch und meine Seele nein sagt, braucht es keine weitere Begründung.

Morgen ist ein neuer Tag!

Mein unerschütterlicher Optimismus ist das größte Geschenk, welches mir gemacht wurde. Ich weiß nicht, wer oder was dieses Vertrauen gesät hat, aber ich bin dafür ewig dankbar. Wie viel schwerer muss es sein, sich aus psychologischen Krisen herauszuarbeiten, wenn Dir das Grundvertrauen in die Welt und in die Menschheit fehlt oder abhanden gekommen ist.
Ich wusste immer, selbst in schlimmsten Phasen meines Lebens, dass es weitergehen wird und das es am Ende (wieder) gut wird. Ich verstehe Angst, Misstrauen und Hoffnungslosigkeit nicht als Grundprinzipien, sondern nur als Erscheinungen, die kommen – und wieder gehen. Sie gehören zum großen Konzert des Lebens dazu, sind aber für mich keine das Stück tragende Themen sondern nur Schleifen, die die Grundmelodie umso schöner und harmonischer machen.

Ich wünsche Dir, der Du vielleicht gerade in einem Burn-Out steckst oder mit einem anderen psychischen Schmerz kämpfst, dass Du vielleicht aus dem ein oder anderen Satz / Prinzip, etwas für Dich herausziehen kannst.

 

 

* Das Wort „Lifestyle-Depression“ könnte dem ein oder anderen sauer aufgestoßen sein, deshalb möchte ich es gerne kurz erklären:
Meines Erachtens nach ist es wichtig, eine Unterscheidung zu treffen zwischen psychischen Erkrankungen, die aufgrund durchlebter Traumata, chemischer Ungleichgewichte im Gehirn oder Behinderungen entstanden sind und den Erkrankungen, die wir uns aufgrund unserer Lebens- und Arbeitsweise angeeignet haben. Dies soll keine „Wertigkeit“ der Krankheiten darstellen (für jeden, der drinsteckt, ist es schlimm), spielt aber durchaus eine Rolle bei der Bewältigung bzw. bei der Bewältigbarkeit der Erkrankung und der Hilfe, die von außen nötig ist. Ein chemisches Ungleichgewicht im Gehirn, welches hochgradige Depressionen verursacht,  ist beispielsweise nicht durch Verhaltens- oder andere Therapien heilbar, sondern nur durch Medikamente einstellbar.