Meine Kollegin Anette Weiss hat uns aufgerufen, über die Frage „Wo sind die Frauen in der Finanzbranche?“ nachzudenken und gleichzeitig vielleicht ein bißchen Ursachenforschung zu betreiben. Ich finde, daß ist ein spannendes Thema, da auch ich seit fast 20 Jahren in dieser Branche arbeite – und gerade in der Anfangszeit viele Erfahrungen gemacht habe, die sich bis heute wie ein roter Faden durchziehen und leider immer wieder bestätigen.
Hinter den Kulissen herrscht tiefstes Mittelalter
Diese Erfahrungen sind sicherlich keine endgültige Erklärung, warum es so wenig Frauen in der Finanzbranche gibt, aber ich finde, sie sind ein Ansatzpunkt. Denn wenn man einmal hinter die Kulissen und Hierarchien großer Finanzdienstleistungsunternehmen schaut, dann fühlt man sich oftmals ins tiefe Mittelalter versetzt, wo die Frau ein Mittel zum Zweck war: Damals wurde man als Frau manipuliert, benützt und am Ende aussortiert – und das ist heute in großen Unternehmen noch immer nicht anders.
Ich selber habe vor fast 20 Jahren bei einer solchen großen Finanzdienstleistung angefangen.
Nach meiner Grundausbildung, also ca. nach einem halben Jahr, fing ich langsam an, die Augen richtig auf zu machen. Immer öfter machte ich die Entdeckung, daß auf den sogenannten „Einsteigerseminaren“, bei denen die Neulinge an die Firmenphilosophie herangeführt werden, einige Seminarleiter und diverse Kanzleileiter immer wieder mit Teilnehmerinnen am Abend auf ihren Zimmern verschwanden.
Ein Teil dieser jungen und meist sehr hübschen Damen legte dann für ein paar Monate einen richtigen Karriere-Senkrechtstart hin. Sie wurden regelrecht hochgejubelt, machten mit viel Unterstützung sehr viel Umsatz und ihr Kanzleileiterverdiente viel Geld an ihnen. War der erste Rausch dann verflogen (oder kam wieder etwas Neues herein), brach der Umsatz dieser Kolleginnen jedes mal nach kürzester Zeit zusammen. Letztendlich verließen sie dann sang- und klanglos das Unternehmen.
Dieses Phänomen habe ich sehr oft beobachtet, es war sogar ein offenes Geheimnis, daß sich mit diesem Verfahren die männlichen Kollegen ihre nächste Karrierestufe „erarbeiteten“.
Auch ohne Protektion erfolgreich?
Als ich damals bei dieser Finanzdienstleistung anfing, gab es in meiner Direktion 5 Kolleginnen, die dauerhaft ziemlich erfolgreich waren. Leider habe ich dann im Laufe der Zeit festgestellt, daß jede von ihnen auch ihren persönlichen „Förderer“ hatte. Meiner Ansicht nach hätte es keine notwendig gehabt, über solche Beziehungen Karriere zu machen, denn sie waren alle sehr intelligent und hatten mehr Fachwissen und Verkaufstalent als die meisten unserer Kollegen.
Natürlich gab es auch Kolleginnen, die eine zeitlang ohne Protektion erfolgreich waren. Sie hatten doch einen großen Nachteil: Sie waren zu unabhängig und ließen sich von ihren männlichen Kollegen nichts vorschreiben oder gefallen.
Es dauerte also nicht allzu lange, bis die Hilfestellung vom eigenen Kanzleileiter immer mehr eingestellt wurde – mit dem Ergebnis, daß es auch diese Kolleginnen nicht lange im Unternehmen aushielten.
Hätten sie durchgehalten, so wären sie auch ohne männliche Hilfe langfristig erfolgreich gewesen, wahrscheinlich noch erfolgreicher als ihre Kollegen. Das ist aber bis heute bei den meisten Finanzdienstleistungen ein No Go!
Es geht nicht, daß eine Frau mehr Umsatz macht und dadurch einen höheren Posten einnimmt, als irgendein männlicher Kollege. Trotzdem rühmen sich diese Männer mit dem Erfolg ihrer „Damen“. Es heißt dann zum Beispiel: „ Ja, daß ist mein bestes Pferd im Stall. Ich muß sie ja irgendwie bei Laune halten, also führ ich sie mal zum Essen aus.“ Und die Erklärung für den weiblichen Erfolg lautet ganz lapidar: „ Rock akquiriert besser als Hose.“
Sex sells?
Auf Seminaren kam es damals durchaus vor, daß ein wildfremder Kollege mal „aus reiner Freundlichkeit“ den Arm um einen legte. Oder mir meinen Erfolg mit Sätzen wie „ Na ja, blond und Rock zusammen – ist wohl klar, warum Du Umsatz machen kannst!“ erklärte.
Aha, nur weil wir auch mal Rock tragen, machen wir bessere Umsätze? Kommt es jetzt auf die Kürze oder Länge des Rockes an oder weil er eng oder weit geschnitten ist? Heißt das jetzt tatsächlich, daß die Kunden nur unterschreiben, weil wir etwas Bein zeigen? Ist nicht Euer Ernst, oder?
Aber dann mit offenem Mund starren, wenn ich eine Fachfrage besser als sie beantworten kann…
Verstecke Dich oder streiche die Segel
Mir ging es ja nicht alleine so – aber ich habe nur wenige Kolleginnen kennen gelernt, die sich mit Worten und Fachwissen tatkräftig und schlagfertig zur Wehr gesetzt haben.
Die meisten haben diese Anspielungen und Übergriffe still über sich ergehen lassen und sind nach einer gewissen Zeit aus dieser Branche ausgeschieden.
Manche haben sich im Laufe der Zeit in graue Mäuse verwandelt und sind mit Jeans, karierten Blusen und Strickweste auf Seminaren erschienen. Mit dieser „Verkleidung“ wurden sie wenigstens nicht von Kollegen belästigt oder verbal angegriffen.
Auch die Kolleginnen, die sich den Männern optisch anpassen – also im dunklen Hosenanzug mit kurzer, meist zu enger Jacke auftreten und auf jeglichen weiblichen Schnickschnack verzichten – wollen sich so in der Menge verstecken.
Graue Mäuse und Artgenossen in schlechtgeschnitten Anzügen stellen ja schließlich keine Gefahr dar und werden so schlichtweg übersehen.
Was ist daran falsch, daß ich als Frau in der Finanzbranche mich wie eine Frau kleide, fachlich einwandfreies Wissen vorweisen kann, jahrelange Erfahrung habe, guten Umsatz mache und dies auch überall publik mache? Gar nichts, meine Damen! Die Männer machen das doch auch so. Also warum nicht auch wir?
Was sie wirklich besser können und was wir von ihnen lernen können
Ich habe also schon vor einiger Zeit beschlossen, daß ich wahrnehmbar als Frau in der Finanzbranche zu Hause bin. Ich bin bunt, ich habe Fachwissen, ich mache Umsatz, ich werde immer sichtbarer für die Öffentlichkeit und ich habe mittlerweile ganz tolle Fach-Kolleginnen gefunden, die auch diesen Weg einschlagen: In den letzten Jahren sind etwas mehr Frauen in der Finanzbranche tätig und oftmals sogar sehr erfolgreich. Trotzdem sind wir immer noch gnadenlos in der Minderheit.
(Kleine männliche Ehrenrettung am Rande: Ich möchte hier nicht alle männlichen Kollegen in einen Sack stecken, ich kenne auch tolle Kollegen, die eine Frau als Kollegin ohne wenn und aber akzeptieren. Aber Ihr seid einfach auch noch in der Minderzahl.)
Es mag also daran liegen, daß uns viele Kollegen einfach noch nicht ernst nehmen und immer nur das nette, blonde Püppchen in uns sehen, welches nur mit ihrer Fürsorge etwas Karriere machen kann. (Aber bitte nicht zu viel, denn sonst könnte Frau ja besser sein als Mann.)
Es mag auch daran liegen, daß wir Frauen unser Licht immer noch zu sehr unter einen Scheffel stellen und unsere Leistungen nicht groß in die Welt hinausposaunen.
Für mich liegt es aber hauptsächlich daran, daß wir Frauen noch mehr lernen müssen, uns gegenseitig nicht als Konkurrenz, sondern als Kollegeninnen zu betrachten. Wir müssen uns schlichtweg besser zusammen organisieren – denn das haben die Männer uns leider immer noch voraus.
Wir Frauen sollten uns mehr zusammenschließen, uns vernetzen und mehr miteinander arbeiten – und nicht als Konkurrentinnen ansehen. Ich bin mir sicher, daß dann bald die „liebevollen“ Übergriffe und sexistischen Phrasen von Möchtegern-Kollegen der Vergangenheit angehören werden.
Übrigens: Ich bin die Versicherungsmaklerin, die auf jeder Schulung und auf jedem Seminar Farbe in die Menge bringt. Gut erkennbar an meinen roten Haaren, der immer farbigen Kleidung und meinen geliebten High Heels.
Beitrag zur Blogparade „Wo sind sie, die Frauen?“ von Judith Stadler, Versicherungsmaklerin und Generationenberaterin
Judith ist 48 Jahre jung, seit 20 Jahren glücklich verheiratet und fast genauso lange in der Finanzbranche tätig. Sie lernte bei einer großen Finanzdienstleistung, verließ diese jedoch nach 2 Jahren, um sich mit einem Kollegen als Versicherungsmakler in einer Bürogemeinschaft selbständig zu machen. 2011 trennte sie sich von dieser Bürogemeinschaft und eröffnete an ihrem Wohnort ein eigenes Büro. Sie sagt von sich selbst:
„Ich bin die typische Versicherungsmaklerin, die ihre Kunden mit Herz und Elan betreut und als Problemlöserin für alles und jeden bekannt ist.“
Ihr findet Judith unter „FEMPEC Management Consulting“ in der Hauptstr. 4,
82441 Ohlstadt und unter der Tel: 08841 / 487 87-0, E-Mail: info@jstadler.de
Trackbacks/Pingbacks