Vor zwei Wochen war ich in Amsterdam auf die größte ETF-Konferenz in Europa eingeladen worden.
Für diejenigen, die sich noch wenig mit Geldanlage beschäftigt haben: ETFs sind börsengehandelte Fonds – also eine Sonderform der bekannten Investmentfonds – die heutzutage immer mehr im Vermögensaufbau eingesetzt werden weil sie kostengünstig und strategisch super einsetzbar sind.
Ich arbeite fast nur noch mit dieserart Fonds und fühlte mich natürlich nicht wenig gebauchpinselt, eingeladen worden zu sein – immerhin ist das eine internationale Expertenveranstaltung und dort trifft sich das Who is who der ganzen Branche: die besten Vermögensverwalter, die größten Anbieter, die erfolgreichsten Honorarberater Euopas.
Aber ich hatte auch so meine Vorbehalte:
Ich kenne deutsche Großveranstaltungen dieser Art: die DKM, die deutsche Anlegermesse, Honorarberaterkonferenz undundund. Wir sind die Größten, die Besten, die Schlausten.
„Alles nur Blender, Schaumschläger, Großtuer!“
Und das alles dann auch noch auf Englisch. Mit Dresscode. „Casual Business“, na super.
Ich habe meine Anzüge aussortiert, als ich in der Bank gekündigt habe: nie wieder zwänge ich mich in eine Uniform!
Anzüge und Kostümchen, High Heels und großes Make-up sehen ja ganz hübsch aus – aber das ist nichts für mich.
Versteht mich richtig:
auch ich bin durch und durch Frau und habe Spaß daran, gut auszusehen – aber auf meine Art und zu meiner Zeit. Ich mag das nicht tun, weil es mir verordnet wird – und es ist mir schon klar, dass zerissene Jeans und Turnschuhe nicht das geeignete Outfit für eine solche Messe ist.
Mein Köfferchen für 3 Tage Konferenz zu packen stellte also durchaus eine Herausforderung für mich dar:
wo ist der Mittelweg zwischen dem, was ich glaubte, was erwartet wird und dem, was ich brereit war, der Konvention zuzugestehen?
Selbstverständlich war es am Ende dann doch falsch: nicht weil ich unangenehm aus der Rolle gefallen wäre – sondern nur, weil 17 Grad in Amsterdam sich deutlich kälter anfühlen als in Saarbrücken. Ich habe mir schlicht den Popo abgefroren.
„Yes, thats the right way to make the right thing!“
Und jetzt zu den Blendern, Schaumschlägern, Großtuern.
Fehlanzeige. Auf der ganzen Linie. Selbstverständlich gehören auf so einer Konferenz Maßanzüge, junge Wilde, dicke Uhren und der ein oder andere Cocktail dazu, aber:
Ab einer gewissen Größenordnung Professionialität und Erfolg haben diese Menschen keine Schaumschlägerei mehr nötig.
Oder: sie hatten es noch nie nötig und sind deshalb so professionell und erfolgreich?
Ich weiß (noch) nicht mit Sicherheit, wie herum ein Schuh draus wird, hatte aber schwer der Eindruck, dass sie eher zuerst bodenständige, hochkompetente Menschen waren und dass sie das zu ihrem Erfolg geführt hat, als umgekehrt.
Wie auch immer: gerade die englischen Kollegen haben überhaupt keine Berührungsängste, ein „How are you and what is your business?“ ist nicht nur leere Phrase sondern signalisiert ernsthaftes Interesse.
Mir hat es unglaublich gut getan, auf mein „I’m an hour-based financial advertiser and make workshops for financial education.“ positive Reaktionen zu erhalten. Das schönste war: „Yes, thats the right way to make the right thing!“ von einem der größten Honorarberater Großbritanniens…
Dazu muss man wissen: in England wurde die Provisionsberatung vor zwei Jahren komplett abgeschafft. Und obwohl es prinzipiell als umfassender Erfolg verbucht wird, dass die Beratung heute auf einem unglaublich hohen Standard stattfindet, kann man die Tatsache nicht wegdiskutieren, dass sich in England die Masse der Menschen keine Honorarberatung (die nicht zeitbasiert wie bei mir, sondern vermögensbasiert abgerechnet wird) leisten kann.
Deshalb gibt es zwar schon großartige #fintech – Möglichkeiten, sich online mit grundsätzlichen Finanzprodukten zu versorgen – aber die Erkenntnis, dass es notwendig ist, den Bürgern „financial education“ angedeihen zu lassen, ist dort auch erst in den letzten Jahren zur bitteren Gewissheit gereift: Genau wie bei uns wurde nämlich verschlafen, sich rechtzeitig und umfassend um die ökonomische Bildung von Arbeitnehmern und Freiberuflern, Akademikern und Unternehmern zu kümmern.
Jetzt wird mit Nachdruck daran gearbeitet, das nachzuholen – und ich mag nicht verhehlen, dass es mir wirklich große Freude gemacht hat, den „großen Kollegen überm Teich“ gute Tipps geben zu können.
Also bin ich mit vielen neuen Ideen, starken neuen Produktinnovationen, die bald auch zu uns kommen werden, viel fachlichem Input und ganz platten Füßen (Sitzen scheint auf solchen Kongressen grundsätzlich verpönt zu sein: im Stehen kommt man schneller zur Sache) zurückgekommen – und habe neben vielen praktischen Regenschirmen (anscheinend das Werbergeschenk dieser Saison) auch tolle neue Kontakte und ein neues Selbstverständnis im Gepäck.
Weitere Artikel zu Branchenveranstaltungen dieser Art und zum Selbstverständnis von Finanzberatern:
–> Mein Besuch auf dem neuen Honorarberaterkongress
Vielen Dank für die Veröffentlichung ihrer Eindrücke