Selbstverständlich wünschen wir uns alle eine Welt, in der grundsätzliche Finanzbildung ein Teil der Allgemeinbildung ist, die automatisch in der Schule vermittelt wird. Leider ist finanzielle Schulbildung  – obwohl sie seit einigen Jahren von weiten Teilen der Bevölkerung gefordert wird – nur rudimentär vorhanden.
Viele Finanzdienstleister und Institutionen springen in diese Bresche und bieten in Schulen und Hochschulen Vorträge, Workshops und Vorlesungen an, in denen den jungen Menschen finanzielle Grundbildung vermittelt werden soll.
Da wir aber aus bitterer Erfahrung gelernt haben, der Finanzindustrie ein gesundes Misstrauen entgegenzubringen, müssen wir die Frage stellen, ob es im Sinne unserer Kinder sein kann, sie in jungen Jahren bereits eventuellen Indoktrinations- und Manipulationsgelegenheiten auszusetzen. Und wir müssen die Intention der Anbieter hinterfragen: Geht es hier darum, einen wirklichen Dienst an der Gesellschaft zu leisten? Wenn ja, warum? Oder geht es vielmehr um elegantes Socialwashing und verdeckte Kundenakquise?  

Wenn wir einen Sumpf trocken legen wollen, sollten wir es uns dann gefallen lassen, dass die Frösche schon an den Schulen unterrichten dürfen?
Zitat von Kathrin Latsch, monneta gGmbH


Ich bin (im weitesten Sinne) Finanzdienstleisterin. Und ich bin Geldlehrerin.

Seit 13 Jahren unterrichte ich ehrenamtlich an diversen Schulen den sogenannten “Geldunterricht”: Die Jugendlichen fangen bei der Frage an, was Geld überhaupt ist, sie lernen grundsätzliches Finanzrechnen sowie Gehaltsabrechnungen und Renteninformationen verstehen, Verträge und Kosten hinterfragen und vieles mehr. Der Unterricht läuft nicht nach dem Schema: „Ich erzähle Dir was, und Du musst es glauben!” ab, sondern alle Lehrinhalte werden in mindestens 22 Schulstunden diskutierend erarbeitet, mit Zahlen errechnet, mit Fakten belegt und mit Anekdoten und Insidergeschichten aus meiner Berufswelt belebt.
Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass die > 600 Jugendlichen, die durch meine Schule gegangen sind, niemals selbst verschuldet und blauäugig in finanzielle Schwierigkeiten geraten werden.

Aber natürlich bin ich nicht alleine an der Schulfront. Und nicht alles, was ich da sehe, gefällt mir: Ja, es gibt Banken, Finanzdienstleister und besonders Strukturvertriebe, die unter dem Deckmäntelchen der Bildungsvermittlung nichts anderes im Kopf haben als Referenz- Aufbau und Neukunden-Akquise. Das ist selbstverständlich zu verurteilen und gehört unterbunden. Aber:

Wer soll’s denn machen?

Richtig wäre, dass jede weiterführende Schule mindestens einen festangestellten (und daher von der Finanzindustrie unabhängigen) Vollzeit-Finanzbildungslehrer*in hätte. Dazu einen lobbyunbeeinflussten, ausgeklügelt ausgearbeiteten Lehrplan und didaktisch wertvolle Lehrmittel (Bücher, Filme, interaktive Angebote) die von unabhängiger Seite wissenschaftlich unterlegt produziert worden wären. 

So richtig diese Idee auch ist, so utopisch ist sie leider auch:
Um als Lehrperson wirklich lebensnahe und realwirksame Finanzbildung vermitteln zu können – und nicht nur reines Faktenwissen – sollte diese Person sowohl eine fundierte Finanzausbildung genossen haben als auch ein paar Jahre Praxis-Erfahrung. Anschließend und zusätzlich braucht sie – neben der persönlichen Neigung und Eignung – selbstverständlich noch eine pädagogische und didaktische Weiterbildung zum Lehrenden.
Und letztendlich müssen natürlich neue Stellen an den Schulen geschaffen und die entsprechenden Geldmittel bereitgestellt werden – eine unlösbare Aufgabe für unser flickschusterndes, chronisch unterfinanziertes und vom Bildungsföderalismus zerissenes Schulsystem!

Die Realität teilt sich in 3 Gruppen

  • Engagierte Lehrer*innen, die im Rahmen ihrer – meist gesellschaftskundlichen – Fächer ihr möglichstes tun, um unsere Sozial- und Rentensysteme halbwegs lebensnah zu erklären. Natürlich auch mal ein/e MathematiklehrerIn, der/die ein paar Kredite oder Ansparpläne durchrechnet und dabei das ein oder andere mahnende oder motivierende Wort verliert.

Dieses Engagement ist prinzipiell super – wenn es denn nicht auch große Gefahren bergen würde.

Im Rahmen meiner Tätigkeit als Geldlehrer haben mir SchülerInnen schon von den wildesten Vorkommnissen berichtet:
Von der Sozialkundelehrerin, die ihrer 9ten Klasse erklärt, dass Riester ja der größte Mist gewesen sei, der jemals beschlossen worden war. Der Wirtschaftslehrer, der seiner 10ten Klasse ans Herz legt, doch bitte niemals eine Lebensversicherung abzuschließen, weil jede andere Geldanlage besser sei (Merke: Versicherungen sind per se keine Geldanlagen, denn sie versichern ein Risiko). Und der Mathematiklehrer, der massiv darauf drängt, die Jugendlichen sollten doch Einzelaktien kaufen, anstatt jemals eine Rentenversicherung abzuschließen.

Da es für Lehrer weder einen Ehrenkodex, noch einen Lehrplan in Sachen Finanzen gibt, vermitteln sie in ihrem Goodwill allzu gerne eine sogenannte “Erfahrungs-Bildung”, die sich rein aus ihren persönlichen Finanzerfahrungen und ihrem (nicht zwingend fundierten) ausschnitthaften Wissenstand speist. Diese Form der Wissensvermittlung schadet i.d.R. mehr als dass sie nutzt, denn gerade wenn solche “Erkenntnisse” von echten Vertrauenspersonen ausgesprochen werden, fallen sie auch noch auf besonders fruchtbaren Boden.

  • Die zweite Gruppe sind Finanzdienstleister und daran angelehnte Berufe, die sich berufen fühlen.
    Auch wenn sich Finanzbranche ihren schlechten Ruf redlich verdient hat, so ist es doch grundfalsch, jedem Finanzler, dem es ein Anliegen ist, in Schulen Wissen zu vermitteln, zu unterstellen, er würde dies aus niederträchtigem Eigennutz tun. In jeder Bank, jeder Versicherung, jeder Bausparkasse, jedem finanznahen Betrieb gibt es Menschen, die verstanden haben, wie wichtig Finanzbildung von der Schulbank an sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft ist. Daher gibt es mittlerweile sogar eigens gegründete gemeinnützige Organisationen – wie meine Geldlehrer e.V. – , in denen sich unter einem strengen Ehrenkodex Finanzprofis jedweder Couleur zusammengeschlossen haben, ehrenamtliche Finanzbildung in die Schulen zu tragen.

 

  • Und die dritte Gruppe sind Banken und deren Stiftungen, Strukturvertiebe und diverse Finanzdienstleistungsunternehmen, die Personen entsenden, die Finanzbildung vermitteln – meistens nur punktuell, aber dafür oft genug mit „Geschmäckle“.
    Wenn solche Anbieter die Sache ernst meinen und neben der eigenen Reputationsstärkung wirklich Aufklärung und Wissen vermitteln wollen, so können diese Stunden / Workshops durchaus ein WinWin für alle Beteiligten bieten. In Schulen, selbst schon in der Grundschule, wird klar kommuniziert: “Da kommt jetzt der Mann/ die Frau von der Bank und der/die erzählt Euch was…”
    Während des Events ist eine Lehrperson dabei, die im Zweifelsfall eingreifen könnte. Im Anschluss oder als Vorbereitung kann die Veranstaltung besprochen und ins rechte Licht gerückt werden – und ein Elternhaus ist ja auch noch da.


Ich finde, es spricht nichts dagegen, dass ein Jugendlicher eine Volksbank in besonders guter Erinnerung hat, weil er in der Grundschule mal eine Tresor- und Bankführung mitmachen konnte, oder gar einen Goldbarren hochheben durfte. Soll er doch gerne später sein erstes Girokonto dort aufmachen – wo ist das Problem? Irgendeine Bank muss es doch sein, da ist die eine genauso gut wie die andere.
Verhindern, dass er den Rest seines Lebens dieser Volksbank blind vertraut, wird sowieso nur weitere Finanzbildung und eine gesunde Portion Selbstfürsorge.

Nicht ganz so unbedenklich erscheint mir, wenn sich die Stiftung einer daxnotierten deutschen Bank einer bekannten Influencerin und Schönheitskönigin bedient, damit sie die aufwändig produzierten Aufklärungsvideos moderiert – und dabei nicht nur das Logo der Bank fast unaufhörlich im Bild ist, sondern eben auch die gesamte Kommunikation und alle Materialien marketingwirksam gebrandet sind. Ist das noch Goodwill oder müssen wir vermuten, dass die Verantwortlichen nur deshalb einen solch kostenintensiven Aufwand betreiben, weil sie wissen, dass Lobbying an Schulen unglaublich effektiv ist?
Ein Schelm, der Böses dabei denkt…!
Aber selbst wenn unstrittig sein sollte, dass solcherart Veranstaltungen und das zur Verfügung stellen von gebrandeten Lehrmitteln vorrangig dazu dienen soll, sich bekannt und beliebt zu machen, so ist unsere Jugend ja nicht dumm: Ab 14/15 Jahren wissen sie genau, dass sie umgarnt werden. Und wenn das Elternhaus und die Schule bis dahin einen einigermaßen guten Job gemacht haben, werden sie auch in der Lage sein, zu hinterfragen, was Ihnen erzählt wird.

An der Uni hört der Spaß auf

Wirklich bedenklich wird es aber, wenn wir das durch professionelle Finanzvertriebe erbrachte Finanz-Bildungsangebot  im universitären und berufsausbildenden Umfeld hinterfragen:

Statt sehr genau darauf zu achten, wem Universitäten und Arbeitgeber die Erlaubnis erteilen, ihre Schutzbefohlenen in Finanzdingen “belehren” zu dürfen, erhält hier bisher den Zuschlag, wer nichts kostet und eventuell noch was drauflegt.
Nicht umsonst tummeln sich augenfällig viele vertriebsstarke Strukturvertriebe in den Hörsälen – denn allein durch den Vertrauensvorschuss, den diese „Lehr-Erlaubnis“ bereits verschafft, wird die Abschlussquote für provisionsgetriebene Produkte sehr positiv beeinflusst: Niemals lassen sich leichter Einsteiger-Berufsunfähigkeits- und Rentenversicherungen verkaufen, als im Anschluss an solche “Experten-Seminare”.
Hier appelliere ich an die Verantwortlichen: Selbstverständlich kostet professionell und unabhängig erbrachte Erwachsenen-Finanzbildung Geld (Angebote sind gerne bei mir und den Kollegen zu erfragen) – aber dieses Geld ist deutlich besser in die Souveränität und das Wissen der jungen Menschen investiert, anstatt sie kostenfrei aber fahrlässig den erfahrenen und manipulativen Methoden „vertriebsorientierter“ Finanzproduktanbieter zu überlassen.  

Viel wichtiger als das WER ist das WIE

Bei allen Bedenken, die wir also den Lehrenden an sich entgegen bringen müssen, halte ich es aber für noch viel wichtiger, auf das WIE zu schauen.
Denn natürlich ist eine einmalige Veranstaltung, in der ein Sparkassen-Mitarbeiter für 2 Schulstunden einen einzelnen losgelösten Aspekt der Finanzwelt betrachtet, besser als nichts – aber das ist noch keine echte Finanzbildung.


Wichtig ist, was echte Finanzbildung mit den jungen Menschen macht, nicht woher diese Bildung kommt:
Wenn ein junger Mensch in der Lage ist, sich selbst ausrechnen zu können, wie viel Kosten in einem Finanzprodukt stecken und er auch in der Lage ist, den dazugehörigen Vertrag umfassend zu verstehen und auf die eigenen Bedürfnisse zu überprüfen – ist es dann noch erheblich, ob ihm dieses Know-How von einem Banker der Sparkasse, einem Versicherungsvertreter der Bayrischen oder einem Honorarberater aus der freien Wirtschaft beigebracht wurde?

Halten wir unsere jungen Menschen wirklich für so naiv, dass sie sich für ein für sie unpassendes Produkt entscheiden würden, nur weil sie vor einiger Zeit von einem Anbieter unterrichtet worden waren?
Das glaube ich nicht.

Denn: Echte Finanzbildung vermittelt nicht nur stumpfsinniges Faktenwissen, sondern ermächtigt die jungen Menschen, sich selbst eine Meinung zu bilden. Nur mit einer auf Wissen gewachsenen stabilen inneren Haltung können sie später souverän gute Geldentscheidungen für ihr Leben treffen. 

Dieses (aus)bilden im ursprünglichen Sinne erfordert Expertise im jeweiligen Fachgebiet, gepaart mit dem völligen Außenvorlassen der eigenen Meinung und einem grundlegenden pädagogischen und rhetorischen Geschick, mit Menschen umzugehen. Und: Finanzbildung braucht Zeit.
Zeit, um Zusammenhänge zu erarbeiten, Zeit, Sachverhalte von verschiedenen Seiten zu beleuchten und Zeit, Lehrinhalte sacken und Wurzeln schlagen zu lassen. 

Des Hasen Grab und des Pudels Kern

Und hier liegt der eigentliche Hase begraben: Derweil es angestellten Lehrern jeder Fachrichtung an finanzieller Expertise und praktischer Erfahrung mangeln muss (da sie keine fundierte Finanzausbildung erhalten haben), mangelt es vielen Bildungsangeboten aus der professionellen Finanzindustrie an pädagogischer Substanz und Konsequenz. (Von den schwarzen Schafen mal ganz abgesehen.) 

Nur: Solange unser Bildungssystem nicht in der Lage ist, die Ressourcen zur Verfügung zu stellen, die eine fundamentale Finanzbildung in Schulen gewährleistet, so lange werden wir darauf angewiesen sein, dass echte Finanzbildung “von draußen” kommt.
Niemand kann besser erklären, wie die Finanz- und Vertriebswelt läuft, als jemand, dessen Profession es ist. Niemand kann besser warnen, besser aufmerksam machen, als jemand, der Tag für Tag mit Menschen und ihren Finanzen zu tun hat.

Denn bei aller berechtigten Branchenkritik haben doch sehr viele Finanzprofis ihren Beruf aus Überzeugung gewählt und üben ihn mit Herzblut aus –  und Ihnen ist durchaus bewusst, das schulische Finanzbildung nicht nur der Gesellschaft als Ganzes dient, sondern auch geeignet ist, das geschundene Berufsbild wieder in ehrbares Licht zu rücken.
Nicht zuletzt bereitet es Finanzprofis, die ihren Job als Berufung verstehen, weitaus größere Befriedigung, mit aufgeklärten, kritischen und nachfragenden Kunden gutes und nachhaltiges Geschäft zu machen, anstatt sich die eigene Profession mit kurzsichtigem und kurzfristigem Verkaufsgeschäft zu verleiden.
Auch die Finanzdienstleistungsgesellschaft wandelt sich – vielleicht noch zu langsam und nur in Teilen, aber doch.