Endlich nimmt mal ein seriöses Blatt kein Blatt vor den Mund.
Juhuu. Stefan Kaiser vom Spiegel online lässt sich in seinem Artikel „Verschwörungstheorien: Das Geschäft mit der Angst“ recht genüsslich über die neue Art der „Enthüllungspresse“ aus.
Ich bin ausgesprochen froh, dass diese Thematik endlich mal zur Sprache kommt – fallen mir doch bei facebook und im Kundengespräch ständig solche Artikel vor die Füße, die auf absonderliche Weise Ängste schüren.
Kopp online und die DWN publizieren mutige Inhalte, lauter Blicke hinter die Kulissen. Dazu schreiben sie 75% echte Nachrichten von der DPA ab und vermengen sie mit 25% eigenproduzierten Bullshits des Tenors: der Euro geht unter und wir müssen zahlen. Wir werden zwangsenteignet und/oder von Polen zwangsgepflegt. Und sowieso: wir werden heimlich und systematisch islamilisiert und von aller Welt wirtschaftlich ausgenutzt.
Wäre ich nicht böse und würde diesen Publikationen echte politische Intentionen zutrauen, würde ich vermuten, sie wären einfach ein Sprachrohr für Misanthropen, Verbalfanatiker und Radikaldenker. Denn irgendwoher muss die AfD ja ihre Ideen herbekommen und wir haben ja zum Glück Meinungsfreiheit in Deutschland.
Geldgier führt zu Falschaussagen
Ich unterstelle den Machern dieser Medien aber ein höchstens rudimentäres Interesse an der Gesellschaft, sondern hauptsächlich Geldgier.
Denn sie fahren mit der Angst der Menschen ein wunderbares Geschäft: ob mit dem Verkauf von Büchern über Verschwörungen oder über Kooperation mit dubiosen Goldverkäufern, ob über teure Werbeplätze für ausländischen Vermögensverwalter (Retten Sie Ihr Geld!) oder aktive Beteiligung an solchen Geschäften: hier steckt eine Menge Verdienst drin.
Das hat nichts mit seriösem Journalismus zu tun.
Das Schlimmste daran ist aber: was früher nur aktiv suchenden Verschwörungstheoretikern zugänglich war, wird heute passiv jedem vor Augen geführt.
Niemand kommt mehr an der Verbreitung der besonders schmissigen Schlagzeilen vorbei: facebook und Netz haben eben keinen eingebauten Bullshit-Filter. Und so nimmt diese Form der halbseidenen Berichterstattung direkten Einfluss auf diejenigen, die sich eben (noch) keine Meinung gebildet haben.
Und richtet dort nicht unerheblichen Schaden an.
Denn solcherart Presse führt in meinem Leben zu Kundenanfragen fast schon gefährlicher Art:
„Soll ich mein ganzes Vermögen in Gold anlegen?“ oder
„Ich habe mir überlegt, mir einen Bunker in den Garten zu bauen, wie teuer wäre denn ein Kredit dafür?“.
Das ist kein Fake, das passiert ständig.
Und diese Fragen kommen nicht von Spinnern oder professionellen Neurotikern – nein, das sind ganz normale Menschen, die mit beiden Beinen im Leben stehen und sich aufgrund solch unsachgemäßer Berichterstattung mit ernstzunehmenden Ängsten plagen. Diese Ängste ziehen sich durch alle Bildungs- und Vermögensklassen, sogar fast durch jedes Alter. Ob Geschäftsleute, Angestellte, Beamte – es sind alles Menschen, die in ihrem Leben absolute Realisten und Vernunftmenschen sind. Ganz normale Menschen eben.
Ganz normal unsicher.
Denn für die meisten Menschen ist das alltägliche Leben schon anstrengend und aufregend genug, als dass sie sich mit Wirtschaft, Politik und Sozialem ausgiebig auseinandersetzen möchten. Sie sind sie darauf angewiesen, sich aufgrund von Medienberichten ihre Wählermeinung zu bilden, eine Wirtschaftshaltung zu entwickeln und Finanzentscheidungen zu treffen.
Und dann kommt übers Netz – allein schon vom Namen der Publikation (Deutsche Wirtschaftsnachrichten!) oder über die +++ Aufmachung +++ auf Offiziell getarntes – krudes Zeugs daher, das Jeden, der sich nicht ausgiebig mit der Materie beschäftigt hat, erschrecken muss.
Dieser offizielle, etablierte Touch, den diese Publikationen sich zu verleihen vermögen, verschleiert in vortrefflichem Maße, dass es sich hier um subjektive Meinungsäußerei handelt. Dem Leser wird nicht freigestellt, ob er sich einer subjektiven Meinung anzuschließen möchte oder nicht – es wird ihm einfach nur Angst eingejagt.
Nirgendwo wird ihm kenntlich gemacht, dass es sich bei den Schlußfolgerungen der Autoren um Meinungsäußerungen handelt, sie gaukeln ihre Wahrheit als Tatsachen vor.
Ich möchte daher meinen Lesern einen eher langweiligen Rat geben: haltet Euch an die etablierte Journaille wie Zeit, FaZ, WiWo, Handelsblatt usw. In einzelnen Artikeln springt zwar auch hier mal der ein oder andere auf den Panik-Express auf, aber es ist meist doch erkenntlich, dass der Autor gerade seiner Meinung/Befürchtung Ausdruck verleiht oder mahnend den Finger erhebt. Denn nur wenn ich erkennen kann, dass mir gerade jemand seine Meinung anbietet, kann ich selbst entscheiden, ob es für mich die Wahrheit sein soll – oder eben nicht.
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