Der Trend „Frauen und Finanzen“ ist ungebrochen. Ich kann mich noch immer nicht zu einer eindeutigen Meinung darüber durchringen, denn die Alice Schwarzer in mir erhebt bei jedem neuen Angebot in dieser Richtung alarmiert das Haupt: Ist explizit auf Frauen ausgerichtete Finanzbildung wirklich notwendig oder steckt da in Teilen sogar verkappter Sexismus drin?
Ist es wirklich so, dass Frauen in ihrer Gesamtheit ein schützenswerter, weil machtloser Teil der Gesellschaft sind, die es – wie Kinder – besonders zu behandeln gilt?

Frauen sind anders. Ehrlich?

Landauf, landab wird propagiert, dass Frauen größere Berührungsängste bezüglich Geldanlage und Altersvorsorge als Männer haben. „Der Mann“ scheint derjenige zu sein, der die finanziellen Belange nicht nur innerhalb von Familien, sondern bereits innerhalb der Paarbeziehung regelt.

Durch diverse Studien und deren entsprechende Interpretation der Medien kommen durch die Hintertür die 50iger und 60iger Jahre in die Köpfe zurück:
Wie in Wirtschaftswunderzeiten kümmert Frau sich um ihre 3 K`s (Kinder, Küche und Karriere), während er sich an den Aktienmärkten tummelt und seine Altersvorsorge aufbaut.

Irgendwann dann wacht Frau dann aus ihrer (selbstgewählten?) geistigen Umnachtung auf und stellt fest: „Huch, ich habe ja keine Altersvorsorge und kein Vermögen – wie komme ich denn jetzt an die notwendigen Voraussetzungen, mir eine halbwegs unabhängige Zukunft zu gestalten?“

Also dann: Nichts leichter als das. Gib „Frau“ + „Finanzen“ in Google ein und schau mal, was passiert.
Eine ganze Flut an Frauenartikeln, -büchern, -kursen und Seminaren ergießt sich über Dich.

(Übrigens: Gibst Du „Mann“ und „Finanzen“ ein, kommt der Kurs der MAN-Aktie und Google fragt Dich, ob Du Dich vielleicht verschrieben hast.)

Wo bleibt eigentlich der Einspruch des Feminismus?

Die Börse Stuttgart lädt „die interessierten Damen“ zur Vortragsreihe ein, Banken bieten extra Frauenberatung an und der Büchermarkt wächst alle 3 Monate um ein neues Frauen-Finanzbuch (eine empfehlenswerte Einstiegsliteratur ist übrigens Natascha Wegelins „Madame Moneypenny: Wie Frauen ihre Finanzen selbst in die Hand nehmen können“).

Ist uns eigentlich klar, dass vor allem die Angebote der etablierten (provokativ formuliert: männlichen) Finanzwelt durchaus ein Hauch des herablassenden, sexistischen aufweisen?

Ich bin absolut keine Emanze und auch keine versierte Feministin, aber bei mir klingeln da die Alarmglöckchen.
Die Herren Finanzler haben erkannt, dass mit den Frauen als Zielpublikum gutes Geld zu verdienen ist – also wird das Bild der minderbemittelten Frau als extra zu förderndes Wesen genährt und befeuert, bis wir selbst daran glauben, benachteiligt zu sein.

Sind Frauen und Finanzen wirklich so ein „schwieriges Feld“?

Ich glaube, nein. Nach 29 Jahren in dem Job habe ich genauso berührungsängstliche Männer wie Frauen gesehen.
In meinen Kursen sitzen genauso Männer wie Frauen. Die meist vorgetragene Begründung, Frauen fühlten sich unter ihresgleichen freier, kann ich nur in Teilen nachvollziehen – außer es handelt sich natürlich um stark männerdominierte Großveranstaltungen, da herrscht eine ganz eigene Atmosphäre, die keinen ernsthaften Austausch auf Augenhöhe zulässt. (Muss was mit dem Rudelverhalten von Männern und Frauen zu tun haben.):
Männer haben genauso ihre Glaubenssätze, die sie behindern, ihnen fehlt die nötige Finanzbildung genauso wie den Frauen und nein, sie können auch nicht besser rechnen.
Sie kaschieren es vielleicht besser, sie kokettieren vielleicht nicht so sehr damit und sie sind sich vielleicht ihrer Defizite nicht so bewusst – am Ende ist es für sie aber genau schwer (oder leicht) wie für die Frauen.

Tatsächlich schwerer sind die Folgen, die Frauen aus der allgemeinen finanzellen Unwissenheit tragen:
Wir sind nun mal diejenigen, die die Kinder bekommen und die nach wie vor die finanziellen Nachteile, die daraus entstehen, zu tragen haben.
Das ist ein gesellschaftliches und ein politisches Problem – aber es ist sicher kein Problem dessen, dass wir Frauen sind und deshalb anders denken.

Altersarmut per se ist nicht weiblich – sie trifft nur viel mehr Frauen als Männer.
Nicht weil die Männer etwas dafür könnten, sondern weil wir Frauen weniger Möglichkeiten haben, etwas dagegen zu tun.

Männer sind auch anders. Wo bleiben die Männerangebote?

Gibt es extra Bildungsangebote für Männer? Männer-Finanzbücher? Männer-Facebookgruppen? Kaum.
Warum nicht?
Sind Männer das Normal – und sind demzufolge die nicht explizit auf Frauen ausgerichteten Angebote sowieso männlich?

Oder gibt es gar einen doppelten Sexismus von zwei Ebenen mit der gleichen Stoßrichtung?

Was die etablierte Finanzwelt betrifft, so bin ich mir sicher:
Frauen sind ein geniales Zielpublikum und die (vornehmlich) Herren in den oberen Etagen sind insgeheim davon überzeugt, dass Männer tatsächlich besser mit Finanzen umgehen können.
(Und um jetzt ganz böse zu sein: Ich glaube, auch viele Frauen in Führungspositionen in Banken und Versicherungen sind der Überzeugung, dass ihre Geschlechtsgenossinnen „dümmer“ als Männer sind.)
Es ist also eine gute Idee, dem Trend Rechnung zu tragen und Frauenförderprojekte zu initialisieren – zumal man wunderbarerweise auch die Frauen des eigenen Unternehmens dafür instrumentalisieren kann.

Und Frauen, die Frauenangebote entwickeln?
Oh ja, sie sind sexistisch. Oder ihrer Zeit voraus – je nachdem von welcher Seite man es betrachten mag.

Diese Angebote lassen Mäner nicht an dem teilhaben, was wir als sinnvoll erachtet haben:
Storytelling, um Finanzen wirklich greifbar und lebensnah zu machen.
Glaubenssatzarbeit, um innere Blockaden zu erkennen und lösen.
Das Anerkennen von Emotionen und Bauchgefühl und die Abkehr vom homo oeconomicus als Vater allen finanziellen Erfolgs.

All diese Erkenntnisse und Mechanismen verstecken wir hinter der Aufschrift „Für Frauen“ – und lassen damit die Männer in ihrer selbstgeschaffennen Herrlichkeit zurück.

Der Zweck heiligt die Haltung

Selbstverständlich ist es unterm Strich egal, aus welchen Beweggründen die etablierte Finanzwelt auf der Welle mitschwimmt:
Jedes Bildungsangebot trägt bei, solange es fachlich fundiert ist.

Und doch: Wollen wir wirklich die Augen zumachen und widerspruchslos hinnehmen, dass Frauen besonderen Schutz, besondere Behandlung benötigen?
Wollen wir wirklich heute noch „interessierte Damen“ sein?

Egal ist auch, ob Frauen Frauenangebote entwickeln:
Jede Bildung, die in den Köpfen der Frauen landet, schwappt auch irgendwann ins männliche Gehirn – die Grenzen sind zum Glück weniger scharf, als uns die ein oder andere Studie glauben machen will.
Und doch: Liebe Männer, lest Frauenbücher. Fragt nach Männerkursen. Emanzipiert Euch!

Fragen über Fragen…

Ich bin mir nicht mal sicher, ob „Sexismus“ das richtige Wort für mein Alarmklingeln ist.
Ich bin mir allerdings sehr sicher, dass ich der Uneigennützigkeit von Banken und Versicherungen mit Berechtigung misstraue und dass es wahrhafte Frauen-Gleichstellung in den oberen Etagen der Finanzwelt nur in Ausnahmefällen gibt.

Und genauso sicher bin ich mir, dass Finanzbildung geschlechtslos ist:
Egal, ob Männlein oder Weiblein, das liebe Geld und alles was daran hängt, ist der größte Gleichmacher, den es überhaupt geben kann.

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Übrigens:

Ein vollkommen geschlechtsloses, aber sehr hilfreiches Finanzbuch ist mein Rechenroman „Rente ohne Roulette – Wie Du Deine Altersvorsorge nicht aufs Spiel setzt“.