Das Sommerloch treibt merkwürdige Blüten: Die Streichung des Elterngeldes für Netto-Jahreseinkommen ab 150.000,- führte zu einem empörten Aufschrei in der gebildeten Mittelschicht und einer Petition an den deutschen Bundestag. Und nur Tage später wird von der SPD mal wieder gefordert, das Ehegattensplitting abzuschaffen: Mit diesen eingesparten Geldern könne man sowohl die Streichung des Elterngeldes für Gutverdienende verhindern als auch die Frauenarbeitsquote und sogar die Gleichberechtigung an sich fördern.

Hast Du schon eine Meinung?

Gerade die gesellschaftliche Empörung zum Elterngeld irritiert mich sehr. Sogar auf linkedin fliegen die wortgewandten Fetzen (rein verbal geht es dort immer recht gesittet zu) und die Neiddebatte an vielen anderen Stellen („Was sind reiche Eltern vor allem? Reich!“) entsetzt mich.  Noch schlimmer finde ich allerdings, dass mit so wenig Faktenwissen (auf beiden Seiten!) diskutiert wird. Wenn Du noch keine Meinung hast oder für Deine Meinung Argumentationsfutter brauchst, so bemühe ich mich jetzt mal, das für Dich aufzudröseln.

Zuerst mal vorneweg:
Die Ausgangssituation (an der jetzt ja nun mal nicht zu rütteln ist) besagt, dass im Haushalt des Familienministeriums 290 Millionen eingespart werden müssen. Noch dazu ist die Einsparung Teil des Deals, die Kinder-Grundsicherung einzuführen, für die das Ministerium eigentlich 12 Milliarden gebraucht hätte, aber nur 2 bekommt.

Die 290 Mio. sollen und müssen also genau in diesem Ministeriumsbereich eingespart werden, es steht nicht zur Debatte, stattdessen die Verteidigungsetat zu kürzen oder eine Reichensteuer einzuführen oder sonst irgendwelche anderen Löcher weiter aufzureißen.
Damit ist jeder Post und jeder Satz in einer Diskussion, der mit: „Hätten sie mal stattdessen xy gespart…“ schon mal obsolet, bitte lass Dich auf solcherlei Wortgeplänkel gar nicht ein, das ist Zeitverschwendung.

Frau Paus (die Familienministerien) kann nur in ihrem Bereich schauen, wo sie das Geld einspart, nirgendwo anders. Sie hatte eigentlich nur die Wahl zwischen Pest (Elterngeldkürzung für alle) und Cholera (Einkommenseinbuße für eine Minderheit) – wie würdest Du entscheiden?

Warum die Streichung des Elterngeldes > 150.000,- die betroffenen Frauen weder in die Abhängigkeit noch an den Herd zurück treibt – ein paar Zahlen

Um wie viel Geld geht es überhaupt?

Es geht hier um höchstens 25.200,-  Euro über einen Zeitraum von 1 (Basis-Elterngeld) bzw. 2 (Elterngeld Plus) Jahren für Ehepaare bzw. elterliche Bedarfsgemeinschaften, die zusammen mehr als 150.000,- Euro zu versteuerndes Einkommen im Jahr verdienen. Selbst wenn ansonsten nichts großartig steuerlich mindernd abzusetzen ist, reden wir hier also von einem gemeinsamen Bruttoeinkommen von gut 180.000,- Euro im Jahr. Wenn beide gleich viel verdienen (also 90.000,-) sprechen wir von rd. 4.400,- Euro netto für jeden, zusammen also 8.800,-. Das dürfte als Gutverdiener durchgehen, selbst in München oder Hamburg.

Wichtig ist dazu noch zu wissen, dass das Elterngeld sowieso nur auf eine Gehalts-Höchstgrenze von 2.770,- netto im Monat ausgerechnet wird, das geflügelte Wort, dass es sich beim Elterngeld um 65% des vorherigen Lohnes handelt, bezieht sich nur auf besagte 2770,- , alles darüber wird nicht mehr berücksichtigt.

Grundsätzlich und vorneweg

Ein Kind ist immer auch eine finanzielle (und im besten Fall eine gemeinsame!) Lebensentscheidung. Es bis zur eigenen Erwerbstätigkeit großzuziehen, kostet mindestens 150.000,- € (Quelle: destatis), in gehobenen Kreisen (und da bewegen wir uns ja) kostet es eher ca. 270.000,- (ohne Extrawürste wie Studium im Ausland und Eliteinternat, Quelle: selbst ausgerechnet jedes Jahr im Geldunterricht in einem Gymnasium).
Eine viel genanntes Argument in der Diskussion ist es, dass junge Akademikerpaare auf dieses Elterngeld angewiesen wären, weil:

  • sie noch nicht lange über ein so hohes Einkommen verfügen und noch keine Zeit hatten, sich einen finanziellen Puffer anzusparen.
  • so hohe Gehälter hauptsächlich in Ballungsgebieten bezahlt würden und die Lebenshaltungskosten hier entsprechend hoch sind, so dass sie auf dieses Geld angewiesen wären, um den Lebensstil halten zu können.
  • sie ihre Studien-, Auto- und Hauskredite abbezahlen müssten.

In meiner Selbstverantwortungswelt (die hoffentlich auch Deine ist) sind es private Entscheidungen, ein Haus zu kaufen, 2 Autos zu haben, sich Rücklagen aufzubauen, im Ballungsraum zu leben, sich selbständig zu machen oder ein Unternehmen zu gründen – und das will genauso gut durchdacht und im Zusammenspiel finanziell geplant werden wie die Entscheidung, ein Kind zu bekommen.
Ein Kind bedeutet immer, im finanziellen Bereich Einbußen hinnehmen zu müssen, ich finde, die Verantwortung für die Erhaltung des selbst gewählten Lebensstils dem Staat anzulasten, ist nicht zulässig.

Das ändert nichts daran, dass auch für Gutverdiener-Paare die 25.200,- natürlich ein sehr willkommener Bonus waren, aber es kann doch niemand ernsthaft annehmen, dass dieser im Vergleich lächerliche Betrag eine Voraussetzung / ein Grund FÜR oder GEGEN ein Kind ist!

Und die Abhängigkeit der Frau, die durch die Streichung wieder zunehmen würde?

Gehen wir davon aus:
Beide verdienen ca. 90.000,- brutto, um auf besagte 150′ zvE zu kommen. Wenn sie nun gemeinsam beschließen, dass sie für ein Jahr zu Hause bleibt, fällt ihr Netto von knapp 4400 für 10 Monate nach dem Mutterschutz weg. Steuerlich passiert aber nun folgendes: Er bekommt statt vorher ebenfalls 4.400 nun 6.000,- netto weil sie nun ja gemeinsam in einer anderen Progressionsstufe liegen (Steuerklasse 4 mit Faktor).
Gemeinsam müssen sie also nun eine Durstrecke von 10 bzw. 12 Monate (wenn er noch die 2 Monate Erziehungszeit/Elterngeld dranhängt und sich die Situation umkehrt) mit 6250 ( inkl. Kindergeld) überbrücken, statt vorher aus dem Vollen von 8.800,- zu schöpfen. Vor der Streichung hätte die Einbuße also bei 2650 – 1800 = nur 850,- gelegen, jetzt müssen sie für 10 bzw. 12 Monate mit besagten 2.650,- weniger auskommen. Selbstverständlich war es vorher natürlich komfortabel, aber wo begründet sich in der gemeinsamen Einbuße eine steigende Abhängigkeit der Frau?

Dass die Frau in besagten 10 Monaten nun mehr von seinem Gehalt abhängig ist, ist eine gemeinsame Entscheidung, kein Zwang, der unausweichlich und für die Frau extrem nachteilig ist – sie könnten sich ja genauso gut entscheiden, dass der Mann das erste Jahr zu Hause bleibt (und er „abhängig“ ist). Finanziell würde das keinen Unterschied machen.

(P.S.: Wenn Du Dir denkst: „Ja, ganz klar, die Frau wird hierdurch wieder mehr in eine Abhängigkeit getrieben!“, bitte schreibe mir das in den Kommentaren – ich würde die Logik nämlich wirklich sehr gerne verstehen, mir fehlt dazu aber die nachvollziehbare Argumentation.)

Übrigens: Wenn das Gehaltsgefälle vor der Geburt schon groß war (z. Bsp. er 120.000,- zu versteuerndes Einkommen, sie nur 30.000,- zvE), so hat die Frau auch vorher schon keine 1800,- Elterngeld erhalten, sondern anteilig deutlich weniger. Hier war die „Abhängigkeit“ bereits vor dem Kind und der Streichung des Elterngeldes gegeben und wird auch danach noch bleiben (ich empfehle unseren am 01.08. 2023 erscheinenden Kurs zu Geldgerechtigkeit unter Paaren!).

Gleiches Recht für alle Eltern?

Es ist anscheinend nicht flächendeckend bekannt, dass das Elterngeld auch bisher schon bei 300.000,- zu versteuerndes Einkommen gedeckelt war, eine Ungerechtigkeit in der Gleichbehandlung war also vorher schon gegeben. Darüber hätte man sich zu Recht bei Einführung des Elterngeldes aufregen können – sich erst jetzt darüber zu echauffieren ist ein wenig fadenscheinig.

Mein persönliches Fazit zur Streichung:
Natürlich ist es für diejenigen, die ab 2024 ein Kind bekommen und wegen der Neuregelung nun eben kein Elterngeld mehr erhalten werden, sehr ärgerlich. Wenn sie mit dem Geld schon geplant hatten, müssen sie jetzt umdisponieren und neu rechnen, sie müssen eventuell geplante Anschaffungen verschieben, ihren Lebensstil streng unter die Lupe legen und können vielleicht erst ein Jahr später an einen Hausbau denken. Aber es wird sie nicht in Existenzängste treiben oder in ihrer Vermögensentwicklung um Jahrzehnte zurückwerfen.
Und ebenso selbstverständlich ist die Streichung kein Willkommen-Signal zum Kinderkriegen und daher per se unschön, darüber braucht auch niemand zu streiten. Aber wenn ich die Wahl zwischen Pest und Cholera (siehe oben) habe, fällt mir die Wahl leicht.

Und wenn sie nicht verheiratet sind? (Überleitung zum Ehegattensplitting)

Ich habe durchaus gehört, dass Du Dir vorhin gedacht hast: Moment mal, wenn sie aber nicht verheiratet sind, dann gibt es doch auch nicht die Steuerminderung von 1.600,- Euro für sein Gehalt und dann haben sie ja tatsächlich nur das Kindergeld während der Erziehungszeit!
Ja, Du hast recht. Wenn sie nicht verheiratet sind, werden sie steuerlich einzeln betrachtet (Steuerklasse I), aber bezüglich des Elterngeldes leiden sie gemeinsam (über 150.000,-) – das scheint ziemlich unfair zu sein.
Das ist es auch. Aber: Anstatt über ein steuerliches Familiensplitting für Erziehungszeiten nachzudenken, wirft die SPD gleich die gesamte Abschaffung des Ehegattensplittings ins Feld. Und auch hier wird wieder heiß diskutiert und Neid-debattiert.

Treibt das Ehegattensplitting die Frau an den Herd?

Sogar der von mir verehrte Marcel Fratzscher (Präsident des DIW Berlin -Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung), dessen Argumentation ich normalerweise fast blind folgen kann, weil wir eine ähnliche Wirtschafts- und Menschendenke haben, versteigt sich hier auf eine mir nicht nachvollziehbare Argumentation -> https://www.diw.de/de/diw_01.c.877664.de/nachrichten/weg_mit_diesem_ueberbleibsel_aus_dem_patriachat.html

Ich verstehe den Ansatz, es würden Frauen (bzw. die Frauenarbeitsquote) durch die Abschaffung des Splittings begünstigt, überhaupt nicht und auch dieser Artikel hat mich diesbezüglich nicht erleuchtet.🤔 Wenn es Dir völlig klar sein sollte, warum es so ist, so bitte ich Dich auch hier um Deinen Kommentar, damit ich zumindest mal verstehen kann, wie die Herleitung dieser Schlussfolgerung logisch zu begründen ist.

Was ist das Ehegattensplitting überhaupt (heute!)?

Mit dem Ehegattensplittingvorteil werden Ehepaare prinzipiell „belohnt“, weil sie eine verbindliche Gemeinschaft mit wechselseitiger Abhängigkeit eingehen (und damit den Staat entlasten): Der eine steht für den anderen finanziell (und hoffentlich auch sonst) ein  – im Guten wie im Bösen. Baut einer finanziellen Mist – hängt der andere mit drin und haftet. Wird einer zum Pflege- oder Sorgefall – hängt die finanzielle Verantwortung an dem anderen. Stirbt einer – ist der andere automatisch verantwortlich für die Kinder, die Nachsorge und erbt (auch im Guten wie im Schlechten).
Bei unverheirateten Paaren ist diese automatische Verbindlichkeit einfach nicht gegeben. Selbstverständlich können einige Dinge vertraglich miteinander verbindlich geregelt werden – aber es wird keine umfassende gegenseitige Verpflichtung und finanzielle Abhängigkeit verbrieft. Es ist und bleibt eine private Entscheidung (mit steuerlichen Folgen), eben nicht verheiratet sein zu wollen, auch dafür tragen wir die Konsequenzen.

Man kann sich jetzt natürlich darüber streiten, ob die Ehe / Verpartnerung als solches vielleicht abgeschafft werden sollte, weil sie per se ein Ausdruck des Patriachats darstellt. Natürlich könnte man auch über „serielle Verbindlichkeitsverträge“ nachdenken, in denen man sich für die Dauer von Kindererziehungszeiten einander verpflichtet. Alles darf gedacht und diskutiert werden, ich bitte darum!
Aber: Solange wir keine Alternative(n) institutionalisiert haben, ist die steuerlich gemeinsame Betrachtung (die man im übrigen durch einen Gütertrennungsvertrag und getrennte Veranlagung durchaus aushebeln kann) ein sinnvoller Weg, das Modell „Ehe“ zu belohnen.

Das kann weg, weil wirklich antiquiert: Steuerklasse III / IV (und: Ein Riesenmissverständnis!)

Es muss in aller Deutlichkeit und für alle (noch)mal gesagt werden:
Die Wahl der Steuerklasse beeinflusst nicht die Höhe der Steuer! 

Es wird immer so dargestellt, als würde die Wahl der Steuerklasse die Höhe der Steuer beeinflussen – dabei ist es nach Abgabe der Steuerklärung übers Gesamtjahr betrachtet (und unter der Voraussetzung, dass keine weiteren Einkommensarten und steuerbeeinflussende Faktoren hinzukommen) völlig egal, welche Steuerklassenkombination Ehepaare wählen.
Daher ist die heute unsägliche Steuerklassenkombination III (für den Hauptverdiener) / V (für den Kleinverdiener, sprich: „die Frau“) wirklich ein Überbleibsel des althergebrachten Rollensystems. Die Grundidee dieser Geschichte war in den Wirtschaftswunder- und Voremanzipationsjahren eben die Förderung der Bedarfsgemeinschaft „Ehe“, indem der Hauptverdiener mit wenig monatlicher Steuerlast, die Frau dagegen mit viel monatlicher Steuerlast zu belegen war, damit unterm Strich monatlich mehr Netto übrig bleiben sollte.
Diese Sache ist heutzutage völlig obsolet: Denn abgerechnet wird zum Schluss eine jeden Steuerjahres.
Es ist nämlich nur eine Frage der unterjährigen monatlichen Liquidität, ein großes Gehalt in Steuerklasse III und das kleinere in V abrechnen zu lassen – denn am Ende des Steuerjahres muss vom erhaltenen Nettojahresgesamteinkommen die übers Jahr zu viel ausgezahlte Steuer wieder zurückbezahlt werden.

Selbstverständlich bietet die miserable Optik des hochbelasteten Frauenlohnzettels (und dem fehlenden Know-How, wie ungleiche Gehälter und Steuerbelastungen fair in einer Ehe aufzuteilen sind – ich verweise nochmal auf oben schon erwähnten Kurs zur finanziellen Paargerechtigkeit) strukturelle Fehlanreize und negativen Erwerbsanreize, das ist empirisch hinreichend belegt.
Umso sinnvoller ist es, dass die Abschaffung der Steuerklassen III und V im Koalitionsvertrag beschlossen wurde – warum die Umsetzung allerdings so lange dauert, entzieht sich allerdings sowohl meiner Kenntnis als auch meines Verständnis`.

Die Lösung ist schon da: Steuerklasse IV mit Faktor

Es ist mir unbegreiflich, warum es nicht flächendeckend bekannt ist, aber die Steuergesetzgebung hat tatsächlich schon 2010 eine wirklich faire Lösung für das Problem gefunden: Bei Heirat werden alle Ehepaare und Verpartnerungen automatisch in Steuerklasse V eingestuft (entspricht Steuerklasse I, nur verheiratet. Der Spittingvorteil kommt dann über die Steuerklärung als Gutschrift.) Zusätzlich wurde für unterschiedlich hohe Gehälter noch die Steuerklasse IV mit Faktorberechnung eingeführt, in die sich jedes Ehepaar mittels unkomplizierten Antrags einstufen lassen kann:
Bei Steuerklasse IV mit Faktor werden beide Gehälter ins Verhältnis zueinander gesetzt und die monatliche Steuerbelastung wird bereits unterjährig mit fair verteilten Anteilen (incl. Splittingvorteil) belastet. So kommt es (ohne weitere steuerverändernde Tatsachen) zu keiner Nachzahlung und beide Partner bekommen das, was ihnen anteilig zusteht.
Hier haben wir also tatsächlich ein echtes Mittel zur Gleichberechtigung, Gleichstellung und Förderung der Frau – und wir nutzen es zu wenig, weil es einfach nicht bekannt ist.

 

Wenn Du mithelfen willst, dieses Mittel zur Gleichberechtigung ein wenig bekannter zu machen und / oder den Debatten um das Elterngeld oder das Ehegattensplitting ein wenig mehr Substanz zu verleihen (sei es in die eine oder andere Richtung), so teile den Artikel gerne – ich freue mich, wenn weniger schwadroniert und dafür mehr fundiert diskutiert wird!