Heute muss ich mich mal empören: Der Bogen geht vom ganz Großen zurück zum ganz Kleinen und am Ende beißt sich die Katze in den eigenen Schwanz.

Der verdammt schmale Grat zwischen Kavaliersdelikt und Betrug

Ob Stammtisch oder Tagesthemen, jeden Abend dürfen wir uns darüber aufregen, dass irgendwer sich wider die Allgemeinheit versündigt hat: Ob VW oder die Banken, irgendwer macht sich immer auf Kosten der Allgemeinheit die Säcke voll.

Nur weil „etwas geht“, ist es doch noch lange nicht in Ordnung, nicht wahr?!

Ein gutes Beispiel ist das Wiederhochkochen und die weitere Recherche zu dem großangelegten Steuerbetrug der Banken, die mittels schneller Hin- und Herschieberei von Kundenaktien eine mehrmalige Erstattungsfähigkeit von Abgeltungssteuern vorgespiegelt haben – das Ganze nur deswegen legal, weil vorher noch niemandem aufgefallen war, dass es illegal sein muss.

Ohne Dir die ganze Sachlage genau auseinanderlegen zu wollen (ein guter Artikel dazu findet sich im Manager Magazin: https://www.manager-magazin.de/finanzen/artikel/dividendenstripping-schaden-in-deutschland-bis-zu-32-milliarden-euro-a-1233932.html) ging es hier im Kern eigentlich nur darum, dass Banken die Steuerbescheinigung für eine einmalig gezahlte Abgeltungssteuer de facto mehrmals ausgestellt haben.
Diese Steuerbescheinigungen wurden natürlich von den verschiedenen Profiteuren der Aktion geltend gemacht und führten zu einer jeweiligen Erstattung der nur einmal gezahlten Steuer: Aus 1 mach 5.
Wundersame Geldvermehrung auf die ganz elegante und bequeme Art. Schick.

So zusammengefasst liest sich das doch als ganz klarer Steuerbetrug, nicht wahr? Keine Frage, unser Rechtsempfinden schlägt Alarm.

Hier kommt die Katze – und der Schwanz:

  1. Wieso ist das den Behörden eigentlich so lange nicht aufgefallen?
    … weil es nicht denkbar war. Damit Dir sowas auffällt, musst Du es ja überhaupt mal denken können. (Es braucht also gewisse antizipatorische Fahigkeiten und eigene Kreativität – das ist wohl nicht die typischste Eigenschaft für einen normalen Finanzamtsmitarbeiter.) Im Universum der denkbaren Möglichkeiten war ein solches Vorgehen für die Steuerbehörden also nicht vorhanden und somit war jedes einzeln betrachtete Geschäft in sich gültig und legal.
    Wenn Du nicht nach etwas suchst, wirst Du es auch nicht finden.
  2.  Wieso gibt/gab es kein Gesetz gegen sowas?
    … aus dem gleichen Grund wie oben. Auch der Gesetzgeber kann nicht vorwegnehmen, was noch nicht erdacht ist.
    Hier haben wir ein riesiges Dilemma: Derweil der Gesetzgeber als Institution immer vom Guten im Menschen ausgeht und erst verbietet, das Kind in den Brunnen zu werfen, wenn es schon drinliegt, sehen Bürger und juristische Personen alles als legal an, solange es nicht explizit als illegal eingestuft ist.
  3. Wie kommt man als Anleger auf die Idee, auf sowas einzusteigen?
    Ich wundere mich nicht darüber, dass Anleger das Spiel begeistert mitgemacht haben – sobald die Gier das Hirn frisst, geht bei den meisten der innere moralische Kompaß (wenn überhaupt vorhanden) über Bord. Die eigene Jacke ist eben näher an einem dran wie die Hose der Allgemeinheit – falls überhaupt das Bewusstsein vorhanden ist, dass man hier etwas Unrechtes tut.
    Steuerhinterziehung war so lange ein Kavaliersdelikt und ein Volkssport, dass das Umdenken für viele (vor allem in der Geschäftmännergeneration der Nachkriegszeit, siehe Herr Hoeness) wirklich ganz schwierig ist.

    Wir sind es anscheinend nicht mehr (oder noch nicht?) gewohnt, selbst auf die Idee zu kommen, dass es nicht in Ordnung ist, mehrmals für die ein und die selbe Sache zu kassieren. Eine Folge des überbordenden Kapitalismus? Charakterfehler? Beides!

  4. Wie kommt man als Bank auf die Idee, sich sowas auszudenken?
    Wenn schon nicht an die einzelnen gierigen Anleger, dann aber doch an die Banken müsste die Gesellschaft aber doch einen Mindestanspruch an – tja, wie heißt das Wort, welches ich suche? – Anständigkeit? Moral?  ach, Ihrwisstschonwasichmeine – stellen können.
    Immerhin sind sie im Zweifel doch systemrelevant, ein wichtiger Träger unseres gesamtvolkswirtschaftlichen Gelingens.
    Stattdessen frönen sie mit Begeisterung ihrer Doppelmoral, die von der Allgemeinheit fordert, geschützt zu werden, aber
    kein Unrechtsempfinden hat, wenn es darum geht, die gleiche Allgemeinheit aufs Kreuz zu legen.
    Übrigens: Die Banken werden geführt von genau denselben Leuten (und deren Zöglingen), denen sie solche Geschäfte verkaufen.

Falls Du jetzt übrigens glaubst, dieser große Mist, der da gerade aufgedeckt wird, wäre ein Einzelfall oder könne heute nicht mehr vorkommen, muss ich dich enttäuschen.
Jeden Tag laufen solch halbseidenen Geschäfte und Schiebereien – ich habe mittlerweile die Hoffnung (fast) ganz aufgegeben, dass „die Banken“ als Gesamtheit in der Lage sein werden, sich diesbezüglich zum Besseren (oder zum Alten?) wenden.

Wenn „die“ das können, kann ich das auch!

Die logische Folge, wenn wir uns ausgenutzt, ohnmächtig und geprellt fühlen, ist klar: Wenn „die da oben“ sich nicht an die Regeln halten müssen, warum sollten wir es dann tun?

Wie viele Hinzes und Kunzes sind der Meinung, Kleinigkeiten wie eine Versicherungsschumserei  (Setz` Du Dich auf meine Brille, setz` ich mich auf Deine!), wären ein Kavaliersdelikt.
Wie viele denken, bei der Steuererklärung hier ein bisschen zu Schönen und da ein bisschen Schlechtzurechnen wäre ja wohl noch keine Hinterziehung. (Sollen die doch erst mal nach den Großen gucken, bevor sie mich bestrafen!)
Und ein bisschen Schwarzarbeit – ja, jetzt mal im Ernst, wie soll sich denn sonst ein kleiner Angestellter ein eigenes Haus bauen und wie sonst ein Handwerker seine Kinder zum studieren schicken?
Und so… wird man genau zu dem, was man verachtet. Viel kleiner und unbemerkt, aber doch.

Am Ende beschweren wir uns dann wieder alle miteinander, dass die Versicherungen immer teurer werden. Dass das Finanzamt immer pingeliger und die Steuerlast immer höher wird.  Und die offziellen Handwerkerleistungen fast unbezahlbar sind, ganz davon zu schweigen, wie schwach die Renten- und Sozialkassen auf der Brust sind.
Darf ich vorstellen: Katze – Schwanz, Schwanz – Katze.

Vielleicht hat uns der Kapitalismus dazu gemacht, vielleicht ist „der Mensch an sich“ einfach so gestrickt – darüber machen sich bestimmt die Wirtschaftsphilosphen ihre Gedanken. Ich verurteile nicht (bin ja schließich kein Finanzamt und natürlich gehören die meisten kleinen Kirchen auch in ein kleines Dorf), aber ich stelle fest: Genau genommen gibt keine Kavaliersdelikte. Es gibt nur großen Betrug und kleinen Betrug.

Wie denkst Du darüber? Fällt Dir ein, wo man da ansetzen könnte?