Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du. (Mahatma Gandhi).
Du kennst den Spruch, ja? Wenn nein, dann jetzt.
Ich scheine mit der Finanzbildung zumindest die erste Stufe ziemlich schadlos überstanden zu haben – denn alle anderen Stufen schaffen es problemlos, sich in einem einzigen Raum zu versammeln.

Die Branche ruft mich

Ich gebe zu, ich bin geschmeichelt: Ich wurde vom „Europäischen Institut für Qualtitätsmanagement finanzmathematischer Produkte und Verfahren“ eingeladen, als Gastrednerin auf ihrem Fachtag zu sprechen.
Wer das Institut nicht kennt (ich kannte es vorher auch nicht, aber das sind diejenigen, die z. Bsp. für die von der BaFin geforderten Kundeninformationsblättern mitverantwortlich sind): Hier versammeln sich in verschiedenen Fachgruppen die Hochintelligenz der deutschen Versicherungswirtschaft und versucht, Gutes zu tun. Der Verein ist also schon eine echte Hausnummer, hat Verbindungen in die Politik und nicht unerheblichen Einfluss darauf, was in unserer Finanzwelt an Produkten dann letztendlich die Welt erblickt.

Nun, ich kenne diese Art Finanzler. Das sind die gleichen, mit denen ich früher in den Führungsetagen der Bank zu tun hatte – nur eine Nummer größer. Genau die, bei denen all meine alten Glaubenssätze Polka tanzen. Ich hasse Vorurteile. Vor allem, wenn ich selbst welche habe. Ja, das ist eine Baustelle von mir: Ich habe ein ernsthaftes Problem damit, geballten Ansammlungen von anzugtragenden Finanzlern ohne eine gewisse Grundskepsis gegenüberzutreten. Und ich weiß, dass das weder gerecht, noch richtig ist.

Also habe ich zugesagt. Über diese Schwelle muss ich ja nun endlich mal weg. Immerhin bin ich diesem Institut aufgefallen. Sie sind neugierig und wollen wisssen, was ich tue: Das ist deutlich mehr als ignorieren. Vielleicht eine Gelegenheit für mich, etwas zu bewegen?

#Eshatsichnichtsgeändert

Als ich in den Raum komme, bietet sich mir das gewohnte Branchenbild: 40 Menschen, davon 35 Männer, 5 Frauen. Wie immer also.
Jeweils eine Frau und ein Mann in Zivil, alle anderen sind im Anzug (das sind die Quoten-Revoluzzer).  Auch wie immer.
Am Alter der Personen kann man immer ganz gut die zugedachte Wichtigkeit der Veranstaltung erkennen: Hier sind 70% der Anwesenden deutlich über 40, man schickt also nicht die Jungen zum Erfahrungen sammeln, sondern eher die Alten, um die Pfründe zu wahren. Auch das ist – wie immer.

#InnovationensindVeränderung – oder doch nicht?

Die Veranstaltung beginnt mit der durchaus interessanten und symathischen Vorstellung der Arbeit des vergangenen Jahres des EI-QFM, mehrmals werden Punkte angesprochen, bei denen ich aufhorche: Es geht um die Qualität mittels Standardisierung der Beratungsprozesse (ja, das ist im Massegeschäft unerlässlich – obwohl ich der Meinung bin, dass es sowas wie das „Massegschäft“ – genau betrachtet – überhaupt nicht gibt). Die Fachgruppen haben auch verglichen, wie sie jeweils rechnen (reine Finanzmathematik. Interessant, dass die Mathematik der einen Versicherung anscheinend anders als die Mathematik der Anderen ist.) Lauter solche Sachen eben – ich glaube, Du hättest Dich gelangweilt, für mich war das alles aber brennend spannend: Die Probleme sind die gleichen wie früher.

Bevor ich dann dran bin, folgen zwei Fach-Slots:
Einmal geht es um einen neuen Beratungsprozess einer Versicherung. Alter Wein in neuen, digitalen Schläuchen. Kundenangaben kommen oben rein, unten kommt Produkt raus. Aber: geschickt gemacht. Mit Web-Bots und DSGVO-konform, alles gut. Trotzdem beginnt es, in mir zu grummeln. Ist es schon Innovation, wenn ich das Gleiche, was ich immer schon gemacht habe, einfach nur verfeinere?

Der zweite Slot geht um (vereinfacht gesprochen) die untereinander-Angleichung von Risikoklassen im Versicherungsgeschäft. Der Kunde soll anhand einer Einstufung erkennen können, welchem Risiko er sein Geld mit dem Kauf eines Produktes aussetzt. Wir haben bereits zwei solcher Einstufungen,  diese neue soll jetzt eben mit einer anderen Formulierung und der Graduierung des Kundenbedürfnisses (statt ja/nein nun eben 80% ja, 20% nein) viel besser sein, als die anderen. Ist das schon Innovation, wenn ich komplexe Produkte komplex standardisiere?

#OhneFinanzbildungistallesnichts

Ich kann nichts dafür, als ich dran bin, bin ich irgendwie leicht auf Krawall gebürstet.
Anstatt mich ordnungsgemäß vorzustellen, beginne ich mit „Wie können wir eigentlich erwarten, dass unsere Kunden uns verstehen, wenn wir selbst untereinander nicht einmal die selbe Sprache sprechen?“

Und dann lege ich los: Wie soll ein Kunde denn wissen, was wir unter „Risiko“ verstehen? Wieso haben wir jedes Recht verloren, Vertrauen von unseren Kunden einzufordern? Warum werden so viele Versicherungen aufgelöst?
Die Antwort könnt Ihr Euch ja denken. Weil Finanzbildung fehlt.
Ich kann euch überhaupt nicht genau erzählen, was ich alles gesagt habe. Wenn ich auf solchen Foren stehe und keinen klaren Lehrauftrag habe, rede ich von der Seele weg, was mir einfällt…

Ich habe also berichtet, wie ich arbeite, was das mit Menschen und ihren Finanzentscheidungen macht. Wie umfassend die Veränderung ist, die eine grundsätzliche Finanzbildung verursacht. Wie einfach es ist, mit solchen Kunden nachhaltiges, sauberes Geschäft zu fahren und faires Geld zu verdienen. Die Versicherungswirtschaft müsste jubeln, denn es ist leicht, einem solch aufgeklärten Kunden genau die Versicherung zu verkaufen, die er benötigt.

#Belächelt

Ich kann Dir natürlich nicht sagen, was in den Köpfen meiner Zuschauer vorgegangen ist. Ich habe mir eingebildet, an einigen Mienen zu erkennen, dass sie mit mir überhaupt nichts anfangen konnten – zu weit weg von der eigenen Welt. Selbstverständlich viel Lob für die Arbeit als Geldlehrer (Ja, das brauchen wir!), aber auch die freundliche Herablassung, das mein „Projekt“ (es war meine Firma gemeint!) zwar sehr löblich, aber ja wohl nicht massetauglich sei. Der Verbraucher per se habe kein Interesse an Finanzbildung und müsse derweil an die Hand genommen und per Produktverkauf auf den richtigen Weg gebracht werden.

Erst auf der Heimfahrt fiel mir dazu die eigentlich passende Entgegenung ein: Finanzbildung ist kein Projekt. Finanzbildung ist ein Geschäft. Ein eigener, riesig wachsender Markt, der vollkommen an der etablierten Finanzbranche vorbei geht.
Eigentlich kann ich freundlich zurücklächeln und mich darüber freuen, dass dieser Kuchen unter Menschen und Unternehmen aufgeteilt wird, die wirklich die Welt verbessern wollen.

#Bekämpft

Naja, wirklich angefeindet wurde ich natürlich nicht. Aber es gab Gegenwind. Ich liebe Gegenwind, wenn er mir Schwung gibt und mich herausfordert – aber dafür muss der Lufthauch aus dem eigenen Denken heraus entstanden sein, nicht aus reinem Reflex.

Das schönste Beispiel für Gegenwind ohne Selbstreflexion kam, als wir gerade in der großen Runde übereingekommen waren, dass viele der heute vertriebenen Produkte selbst von den Vermittlern, die sie verkaufen, nicht verstanden werden.

„Wie können wir erwarten, dass Verbraucher frohen Herzens solchen Produkten besparen, wenn ihnen nicht mal der Verkäufer genau erklären kann, wie sie funktionieren?“
„Der Verbraucher vertraut ja seinem Vermittler, das ist ja kein Problem.“
„Und der Vermittler muss das Produkt dann nicht verstehen, weil…?“
„Er seinem Produktanbieter vertraut!“
„Und wer kontrolliert das und prüft die Versicherungsgesellschaft auf Vertrauenswürdigkeit ab?“
„Niemand. Die Gesellschaft darf ja auf sich selbst vertrauen, sie ist ja die Instanz.“

Ja, klar. Mach mal so weiter. Das ist genau das, wo wir herkommen und was uns überhaupt in die ganze Bredouille gebracht hat. In einer solch absolutistischen Struktur hat der mündige Verbraucher natürlich keinen Platz, zu seinem eigenen Besten. Er weiß ja nicht, was er tut, und das ist gut so. Boah, nee, mit solchem Zynismus komme ich nicht zurecht.

#Gewonnen

Natürlich habe ich nicht gewonnen. Aber ich habe auch nicht verloren – und das ist das, was für mich den Tag dann doch zu einem Gewinn macht. Wenn auch vielleicht die Häfte der Anwesenden nicht verstanden hat, warum ich tue, was ich tue und warum das, was ich tue eigentlich eine Chance für die Finanzbranche ist und keine Bedrohung oder Spinnerei, so war doch die andere Hälfte wenn schon nicht ganz, so doch in Teilen bei mir.
Ich wurde gebeten, als Gast in der Fachgruppe mitzuarbeiten, die sich finanzielle Bildung auf den Tagesordnungspunkt geschrieben hat. Falls diese Einladung noch steht, nachdem ich diesen Artikel veröffentlicht habe: Ja, das mache ich sehr gerne.

Ein paar neue Impulse habe ich setzen können, ein paar andere Gedanken waren vielleicht nicht neu, aber doch noch nicht in solchem Rahmen laut ausgesprochen – schaden kann das ja mal nicht.

Ich wünschte mir nur manchmal, ich könne so sprechen, dass es auch dem vernagelsten Zuhörer genauso logisch wie mir vorkommt, dass wir unsere privaten und gesellschaftlichen (Finanz)probleme nur dann lösen können, wenn wir gleichzeitig an allen abstehenden Enden des gordischen Knotens ziehen: Finanzbildung ist eines davon.