Ich bin immer wieder erstaunt, welch hohes Ansehen Finanzbildung in Deutschland genießt:
über 80% der Bevölkerung ist laut Studien der Meinung, wir bräuchten viel mehr Finanzwissen in unserer Gesellschaft.
Auch Politik und Bildung tönt in das gleiche Horn – und wenn ich mal genau überlege, gibt es wenige Themen im Land worüber solch eine geballte Einigkeit herrscht:
Wissen muss her! Schult unsere Kinder! Klärt die Verbraucher auf!
So langsam sickert also auf breiter Front die Erkenntnis durch, dass DAS große Zukunftsproblem „Altersarmut“ nur durch Prävention zu bekämpfen ist. Und Prävention heißt in diesem Fall: Fang früh genug an, Dich selbst um Dein Wohl zu kümmern.
Denn der Staat, die gesetzliche Rente, kann sich nicht um Dich kümmern. Dafür haben wir kein Geld. Es ist einfach nicht da – und wir werden es auch in keinem Fall, durch keine noch so augeklügelte Bürgerrente und durch keine noch so gut gemeinte Reform, erwirtschaften können. Der Zug ist abgefahren. Vorbei, erledigt. Da nutzt auch kein noch so lautes sich Beschweren, kein Jammern und kein AfD-wählen.
Wir sind uns also alle einig, dass wir uns für Finanzen, Zusammenhänge, Geldkreisläufe und Anlagemöglichkeiten interessieren sollten.
Aber es ist Augenwischerei, dass sich angeblich über 50% der Menschen für Finanzwissen interessiert:
Für Finanzen interessiert sich kein Schwein
Denn interessieren kann man sich nur für Dinge und Sachen, die einen begeistern, die Spaß machen, die Freude, Genuß – irgendeine Befriedigung! – bringen.
Finanzen bringen keine Befriedigung.
Geld selbst kann man nicht essen.
Ein Versicherungsvertrag kann nicht schön sein.
Ein gut gebautes Depot kann nur Freaks wie mir einen Entzückensseufzer entlocken.
Inflationsrechnerei macht nur Mathematikern Freude.
Es gibt nur wenige – wirklich wenige – Menschen, die sich wirklich und ernsthaft für Finanzen begeistern können. Und wer sich gänzlich ohne den menschlichen Bezug für solch seelenlose Materie interessiert, muss irgendwie ein komischer Zeitgenosse sein oder hat eine ernsthafte Persönlichkeitsstörung wie Dagobert Duck.
Finanzen sind also kein interessantes Thema, wir sollten uns da nichts vormachen. Jeder, der sich wirklich mit seiner finanziellen Zukunft beschäftigt, tut es nicht, weil er sich für Finanzwissen interessiert – er tut es, weil er weiß, dass es sinnvoll, dass es richtig ist.
Er tut es, weil er so aufgewachsen ist oder weil er dementsprechende Erfahrungen (meist schlechte) gemacht hat.
[bctt tweet=“#Finanzbildung ist nicht interessant – aber sie ist wichtig.“ via=“no“]
Für diejenigen, die so aufgewachsen sind, ist die Beschäftigung mit ihrem finanziellen Leben wie Zähneputzen: Niemand interessiert sich ernsthaft fürs Zähneputzen – aber es ist sinnvoll, hat gute Gründe und gehört einfach dazu.
Auch die Erfahrenen interessieren sich nicht für Finanzen – aber sie sind schon mal über den Tisch gezogen worden, haben spekuliert und Geld verloren oder haben sonstwie schlechte Geldentscheidungen getroffen. Sie haben daraus gelernt, dass nur sie selbst verhindern können, das ihnen so etwas nie wieder geschieht. Wenn es „von außen“ eine Garantie gäbe, so würden auch sie sofort jede Fachzeitung fallen lassen.
Ihre Motivation ist Angst, Trotz und Wut – nicht Begeisterung.
Sich für Finanzen zu interessieren ist genauso schwer, wie mit dem Rauchen aufzuhören
Der reflektierte Anteil unserer Bevölkerung ist nicht interessiert und ist sich auch klar darüber. Dumm nur, das das ein schlechtes Gewissen macht.
Denn genauso, wie sie wissen, dass sie das Thema stinklangewilig finden, so wissen sie auch, dass es doch unglaublich sinnvoll und vernünftig wäre, sich damit zu beschäftigen. Sie wissen es – und bekommen doch den Hintern nicht hoch.
Es ist so ähnlich wie beim Rauchen aufhören:
Jeder Raucher ist sich der Gesundheitsgefährdung bewusst – und doch hat er genug Gründe – ob sinnvoll oder nicht, weiter zu rauchen…
Und selbstverständlich habe ich als Raucher ein schlechtes Gewissen, weil ich ja allgemein weiß, dass Rauchen ungesund ist (es wird mir ja oft genug gesagt).
Aber: Es kann ja auch gut gehen.
Es gibt genug Alte, die ihr Leben lang geraucht haben und doch einigermaßen gesund sind. Und genug sterben an Lungenkrebs, ohne je geraucht zu haben.
Wenn ich aber jetzt GANZ GENAU wüsste (mir also Finanzwissen aneignen würde), was jede Zigarette mit mir anstellt – und zwar mit mir ganz alleine – was würde ich dann tun müssen? Es geht dann nicht mehr um den Nachbarn, der an Lungenkrebs gestorben ist. Auch nicht um die Statistik, die mir eine 15-jährige Verkürzung der Lebenszeit vorhersagt. Sondern es geht um mich, in meinem ganz persönlichen, individuellen Fall.
Dann hätte ich selbst vor mir selbst keine Ausrede, keine Rechtfertigung und keine Entschuldigung mehr. Ich müsste Konsequenzen ziehen und aufhören. Eigentlich ganz einfach – und doch unendlich schwer.
An dem Entschluss, sich wirklich Finanzwissen aneignen zu wollen, hängt also ein ganzer Rattenschwanz dran…. nein, nein, da verzichte ich doch lieber auf die Erkenntnis durch Finanzbildung und verlasse mich auf mein gutes Schicksal.
Finanzbildung ist Pflicht, keine Kür.
Für die Zukunft unserer Volkswirtschaft und den gesellschaftlichen Frieden im Land ist die Zwangsbeglückung durch Finanz-Schulunterricht daher keine schöne Idee oder sinnvolle Forderung, sondern ein Imperativ.
Die Erwachsenenbildung allein – da kann ich noch so praxisorientierte, freudvolle und unangestrengte Finanzbildungsseminare entwickeln, wie ich will – wird ein Nischenangebot – für eine hoffentlich immer größer werdende Nische – bleiben.
Selbst wenn der Saat kostenlose Bildungsprogramme auflegt und die erwachsene Bevölkerung mit Finanzwissen überschwemmt, so ist „Wissen aufnehmen“ immer mit einer eigenen Anstrengung verbunden (Denken und Reflektieren) und erfordert Konsequenzen im eigenen Verhalten. Für Menschen, die voll im Alltag stehen, die viele Dinge haben, für die sie sich wirklich interessieren – ist das eine schwer überwindbare Schranke. Meine Hochachtung für all jene, die schon in meinen Workshops waren!
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