FIRE steht für „Financial Independence, Retire Early“ – eine Bewegung, die sich zum Ziel gesetzt hat, finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen und dadurch früher als üblich in Rente zu gehen. Die Grundidee der FIRE-Bewegung ist simpel: Spare und investiere einen großen Teil deines Einkommens, um so schnell wie möglich ein Vermögen aufzubauen, von dem du leben kannst, ohne aktiv arbeiten zu müssen.
Das Prinzip beruht auf drei Säulen:
- Sparen – Lebe unter deinen Möglichkeiten und erhöhe deine Sparquote.
- Investieren – Lass dein Geld für dich arbeiten, zum Beispiel in ETFs, Aktien oder Immobilien.
- Ausgaben minimieren – Senke deine Lebenshaltungskosten, um weniger Geld für deinen Lebensunterhalt zu benötigen.
Ein oft genutztes Ziel in der FIRE-Community ist es, in 10 oder längstens 20 Jahren ein Vermögen aufzubauen, das 25-mal höher ist als deine jährlichen Ausgaben. Diese Zahl basiert auf der sogenannten 4 % – Regel, die besagt, dass du jährlich 4% deines angesparten Vermögens sicher entnehmen kannst, ohne es langfristig zu gefährden.
Wozu eigentlich?
Lasst uns mal hinter das „Mindset“ dieser Bewegung schauen.
Das große Ziel ist es, möglichst früh nicht mehr arbeiten gehen zu müssen. Ich strenge mich also 10 oder 20 Jahre meines möglichst jungen Lebens an, möglichst viel Geld zu scheffeln, indem ich möglichst viel arbeite ( = Geld verdiene) und mir möglichst wenig gönne. Na wunderbar.
Genau in den Jahren, in denen ich noch jung, neugierig, experimentierfreudig, hochproduktiv, (hoffentlich) ständig verliebt und lebenshungrig bin, schränke ich mich massiv ein – um dann was?
Um in meinem 40gern oder frühen 50gern mit arbeiten aufzuhören und eine 60 Jahre lange Rente zu „genießen“? Bäh. Wer das wirklich erstrebenswert findet, irritiert mich. Der Mensch ist doch nicht dazu gemacht, „nichts“ zu tun. Und schon gar nicht, wenn er sich in dem Nichts nichts Nennenswertes leisten kann, weil er sein gesamtes Leben lang auf schmalem Fuß leben muss: Das hört sich nach 60 Jahren Netflix und Büchereiausweis an. Wie laaaangweilig!
Falsch gedacht und falsch gerechnet
Für mich sind da so viele Denkfehler drin, dass ich es kaum in netten Worten beschreiben kann.
Mich stört schon das „arbeiten müssen“.
Jetzt mal ehrlich: Diejenigen, die überhaupt darüber nachdenken können, in 10 oder 20 Jahren so viel Geld anzuschaffen, dass es ihnen für den Rest ihres Lebens genügt, sind nicht diejenigen, die wirklich arbeiten müssen. Es sind diejenigen, die eigentlich von sich sagen könnten, dass sie arbeiten dürfen.
Lasst uns mal grob drüber rechnen:
Sagen wir mal, Du richtest Deinen Lebensmindestbedarf auf netto 1301,- € monatlich ein (das ist die Grenze, ab der Du statistisch als normal einzustufen bist. Arm wollen ja auch FIRE-Leute wohl nicht sein. ) – dann brauchst Du allein dafür schon 1720,- Brutto-Gehalt.
Jetzt musst Du ja noch sparen und investieren, damit Du – nach der FIRE-Milchmädchenrechnung – Dir wieder 1301 x 12 = also 15.612,- € jährlich aus Deinem Vermögen rausnehmen kannst. Und zwar 25mal soviel, also 25 x 15.612,- € = 390.300,- €. Kleinigkeiten wie Steuern, Krankenversicherung (die Du als Privatier ja schließlich selbst zu zahlen hast) und Pflegeversicherung lassen wir mal außen vor, ich will es ja nicht zu kompliziert machen.
Wenn Du also in 20 Jahren Deine 390.300,- € zusammen haben willst und es schaffst, Dein Geld für ordentliche 7% anzulegen, musst Du monatlich 770,- zur Seite legen – was es notwendig macht, Brutto 3.032,- Euro zu verdienen. Solltest Du in 10 Jahren soweit sein wollen, musst Du sogar 2.280,- monatlich anlegen – und um das tun zu können, müsstest Du 5.830,- brutto verdienen. Spätestens hier sind wir nicht mehr im Bereich von „arbeiten müssen“ – um so ein Gehalt zu verdienen, musst Du ziemlich gut ausgebildet sein und einen sehr ordentlichen Job haben. Wer in diesen Gehaltsbereichen arbeiten darf, findet mit Sicherheit Arbeitgeber und Jobs, die ihm besser als der bisherige gefallen – und dann sollte Arbeiten wohl keine Qual (mehr) sein.
Und mal wieder: Die Inflation vergessen
Geradezu grotesk wird die Rechnung, wenn wir noch die Inflation berücksichtigen: Was heute 1.301,- Kaufkraft ist, ist es in 10 oder gar 20 Jahren schon lange nicht mehr.
Wenn wir, wie bei einem extrem konsumbewussten FIRE-Anhänger anzunehmen, nur von einer persönlichen Inflation von 3,5 % ausgehen, so sind aus denn 1.301,- bis in 10 Jahren nämlich 1.835,- geworden, und in 20 Jahren gar 2.588,- €.
An Vermögen wäre dann in 10 Jahren 550.000,- und in 20 Jahren 777.000,- notwendig (vorausgesetzt, die Inflation hört dann natürlich auf. Das tut sie nämlich immer, wenn wir in Rente gehen.*Ironie off*) – das notwendige monatliche Brutto-Gehalt beläuft sich dann auf 7.660,- €, will ich in 10 Jahren soweit sein. Ich mag mir nicht vorstellen, dass ein Mensch, der ein solches Gehalt verdient, nicht in der Lage sein soll, sich eine bezahlte Lebensbeschäftigung zu suchen, die ihn so sehr befriedigt, dass er gewillt ist, sie länger als 10 Jahre auszuführen.
Die Rechnung ist natürlich immer noch falsch, aber ich denke, zur Verdeutlichung meiner Aussage: „Wer ernsthaft darüber nachdenken kann, ist keiner, der arbeiten muss!“ ist sie schon klar genug.
Übrigens: In dem oben gerechneten FIRE-Leben ist weder ein PartnerIn, noch Kinder vorgesehen – die kannst Du Dir nämlich nicht leisten, willst Du es in 10 oder 20 Jahren geschafft haben.
Davon abgesehen, ist dieser achso neue Trend übrigens nichts anderes als die bereits seit Adam Riese bekannte Formel V = Zeit x Geld x Ertrag (siehe Blogartikel hier -> https://www.finanzbildung.jetzt/die-ultimative-vermoegensformel/ ) in der Kombination mit „Verdiene viel und gib´ wenig aus“ (ich glaube, das ist noch älter als Adam Riese), es ist also wirklich ein sehr alter (und noch dazu völlig falsch umgesetzter) Rechenweg in einer sehr einengenden Lebensphilosophie-Variante. Für mich klingt das höchst unattraktiv.
Das Geld soll Dir dienen, nicht Du dem Geld
Ich halte es lieber mit meinem eigenen Slogan, der macht mich – und meine Kunden – viel glücklicher.
Mit einem ordentlich gerechneten finanziellen Lebensplan ist es nämlich möglich, BEIDES zu haben: Ein erfüllendes Berufs- und Privatleben in jungen Jahren und ein sicheres und befriedigendes Rentenalter dann, wenn Du wirklich soweit bist, nicht mehr arbeiten zu wollen.