Versicherungsberater Nico Leander Grawert aus Dresden macht sich Luft gegen die irreführende Werbung der Versicherungsgesellschaften und erklärt, warum die meisten Versicherungen eben kein „gutes Geschäft“ sind:

„Sex sells“Newspaper danger ahead lautet eine der ältesten Marketing-Regeln. Aber diese ist mittlerweile überholt. Angst verkauft sich noch viel besser. Der Erfolg ganzer Industriezweige, ja sogar ganzer Branchen basiert einzig auf geschürter Angst.

Und die Versicherungsbranche setzt genau auf diesen Faktor: ANGST.

Denken Sie einmal zurück an die letzten Male, als Sie einen Versicherungsvertrag abgeschlossen haben… was waren Ihre Motive dafür?

Angst vor einem Unfall? Angst vor einer Krankheit? Angst vor einer Berufsunfähigkeit? Angst vor einem Autodiebstahl? Angst davor, verklagt zu werden?

Versicherungen sind wichtig. Sie sind jenes Konstrukt, mit denen wir eine abstrakte Gefahr kalkulierbar machen können. Das ist die Daseinsberechtigung von Versicherungen, das ist ihr Wesen, ihre Bestimmung.

Sie sind nicht dazu da, uns unsere Angst zu nehmen.
Oder haben Sie tatsächlich weniger Angst davor, an Krebs zu erkranken, nur weil Sie eine Versicherung abgeschlossen haben, welche Ihnen dann Geld auszahlt, wenn es geschieht? Wohl kaum…

Versicherungen sind meistens teurer als das Risiko selbst, da ihre Prämie auch Verwaltungskosten, Provisionen, Unternehmensgewinne und Steuern beinhaltet. Von daher sollte man eine Versicherung also nur dann abschließen, wenn die Folgen eines Ereignisses die Existenz bedrohen oder so erheblich sind, dass man selbst nicht in der Lage ist, diese Folgen selbst zu tragen bzw. durch Angehörige tragen zu lassen.

Geld verdienen nur die Anderen...Man kann mit dem Abschluss einer Versicherung statistisch keinen Gewinn machen, dann das würde die Pleite des Versicherers bedeuten. Wer einen Vertrag abschließt in der Hoffnung, er würde gegenüber dem Versicherer einen Gewinn realisieren können (weil er meint, durch Leistungen im Schadensfall mehr ausgezahlt zu bekommen, als er eingezahlt hat), der will entweder den Versicherer betrügen oder er geht eine hochspekulative Wette ein.

Wenn Sie zum Beispiel im mittleren Alter sind und gerade darüber nachdenken, einen Zahnzusatzversicherung abzuschließen, dann schauen Sie bitte zuerst einmal in Ihren Finanzordner. Sollten Sie im Besitz von Kontoguthaben, Lebensversicherungen, Fonds im Umfang von mehr als 50.000 Euro oder mehr sein, dann lassen Sie es! Ihre geplante Zusatzversicherung wird (in aller Regel) ein Verlustgeschäft für Sie – entweder weil Sie trotz Versicherung noch jede Menge aus der eigenen Tasche zuzahlen müssen (entweder weil die preiswerte Zahnzusatzversicherung nicht das abdeckt, was Sie brauchen oder weil Ihre bereits erkrankten Zähne sowieso von vornherein ausgeschlossen sind) oder aber Ihre Beiträge so hoch sind, dass Sie bis zur vollständigen Sanierung Ihrer Zähne mehr eingezahlt haben, als der Versicherer aufwenden musste. Alles andere würde der Versicherer nicht überleben.

Und glauben Sie mir – Versicherer überleben in der Regel immer.

Da sitzen Mathematiker, Juristen, Betriebs- und Volkswirte sowie Mediziner am Ruder – und dass ein einzelner Versicherungsnehmer cleverer ist, als eine solch geballte Führungsetagenkompetenz, ist eher unwahrscheinlich. (Ausnahmen bestätigen die Regel und so…)

Kurz um – wenn Ihnen ein Prospekt eines Versicherers aufzeigt, dass Ihre Zähne in den nächsten Jahren 15.000 Euro an Sanierungskosten erfordern werden und Sie deswegen sofort eine Zahnzusatzversicherung abschließen sollen, dann denken Sie bitte daran, dass hier Ihr Angstzentrum angesprochen wird und Sie gerade dabei sind, in eine Falle gelockt zu werden.

Emotionen, WutRechtsschutzversicherer geben an, wie teuer Rechtsstreitigkeiten sind. Es werden Streitwerte jenseits der 100.000 Euro an die Wand gemalt und daneben stehen 50.000 Euro an Prozesskosten. Dass diese nur anfallen, wenn der Anwalt außergerichtlich den Höchstsatz abrechnet, Sie durch alle Instanzen gehen, dabei ein Gerichtsgutachten angefordert wird und Sie am Ende vor dem BGH verlieren, steht nicht mit dabei. Allein der BGH ist schon eine Besonderheit – den eigenen Fall dort hinzubekommen erfordert zum Beispiel eine uneinheitliche Rechtsprechung oder eine besondere Bedeutung einer noch unbeantworteten Rechtsfrage.
Vermutlich werden Sie im Laufe Ihres Lebens niemals vor dem BGH landen.
Ich zumindest kenne niemanden persönlich, der auch nur ein einziges Mal mit einem Fall vor dem BGH gelandet ist. Auch sind in den Rechtsschutzbedingungen gerade eben die Angelegenheiten, die üblicherweise einen so hohen Streitwert zum Gegenstand haben, zum Schutz der Versichertengemeinschaft ausgeschlossen – wie zum Beispiel Streitigkeiten zum Bau eines Hauses oder auch Streitigkeiten in Angelegenheiten des Urheberrechts. Hohe Streitwerte fallen üblicherweise dann an, wenn Sie große Summen bewegen. Und wer große Summen bewegt, sollte in traditioneller kaufmännischer Manier auch entsprechende Rücklagen bilden.
Somit wäre auch die klassische Rechtsschutzversicherung in den meisten Fällen überflüssig.

Jeder 5. wird im Leben berufsunfähig – so lautet der Slogan der überall im Internet und auf Prospekten auftaucht.
Wenn das so stimmen würde, wie es rüber kommt, dann bedeutete dies, dass die anderen vier so hohe Beiträge in einer Berufsunfähigkeits-Versicherung zu zahlen hätten, dass der eine finanziert würde.
Würde also einer 1.000 Euro BU-Rente haben wollen, müssten die anderen 200 Euro an monatlichem Beitrag aufwenden, zzgl. Verwaltungskosten, Provisionen und Gewinnen.
Das es in der Realität nicht so ist, zeigt wiederum, dass von allen BU-Fällen der Versicherer entweder nur einen geringen Bruchteil abdeckt oder aber die Realität anders ausschaut. Vermutlich ist es eine Mischung – denn er deckt zum Beispiel keine vorsätzlichen Fälle ab und in vielen Verträgen sind vorhandene Vorerkrankungen ausgeschlossen. Ein Kernpunkt ist aber auch, dass eine BU auch mal nur vorübergehend auftreten kann oder erst wenige Monate vor dem Renteneintritt. Dies verursacht selbstverständlich deutlich niedrigere Kosten.
Die Versicherer aber werden nicht müde, Jedem Angst zu machen – und dadurch zum Abschluss zu ängstigen.
Verwerflich finde ich am Ende auch noch die Annahmepolitik – jeder soll einen Antrag stellen, genommen werden aber nur die Gesunden.

8 Millionen Unfälle geschehen nach Angabe eines Versicherungs-Werbeprospektes pro Jahr in Deutschland.
Wenn das stimmen würde, dann müssten bei 80 Millionen Einwohnern fast nur noch Unfallopfer durch die Gegend taumeln.
Da dem nicht so ist, wissen wir auch hier, dass die Werbebotschaft von der Realität abweicht.
Denn es wird vermutlich auch als Unfall gezählt, wenn ich mich beim Rosenschneiden steche, beim Kochen schneide oder beim Grillen am Finger verbrenne.
Wie hoch die Zahl der tatsächlichen schweren Unfallopfer ist, werden wir vermutlich nicht erfahren. Fest steht jedoch, dass diese kaum sehr hoch sein kann, wenn die Absicherung von 200.000 Euro Invaliditätssumme gerade einmal 100 Euro im Jahr kostet…

Für mich fällt das in die Kategorie: Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast!

Das gilt eben vor allem für die Werbung von Versicherern.

Altersvorsorge_XSÜberall wird Angst verbreitet – Angst vor Altersarmut, Angst vor Pflegefall, ja, sogar die Angst vor der Angst wird ins Spiel gebracht.
Aus Angst sollen wir Riester-Renten abschließen, dazu eine Rürup-Rente und auch noch einen Pflege-Bahr (als wenn mir diese Köpfe aus der Politik nicht schon allein suspekt genug wären, so soll ich jetzt auch noch Produkte kaufen, die deren Namen beinhalten – pfui!)
Und natürlich braucht unbedingt jeder eine Berufsunfähigkeitsversicherung, eine Unfallversicherung, eine Krankenzusatzversicherung, einen Schicht-1-Pensionsfonds und für die Kinder muss auch unbedingt eine Kinderinvaliditätsrente her.

 

Warum fragt sich die Versicherungswirtschaft eigentlich, weshalb sie so einen miserablen Ruf hat…?

Bitte liebe Leserinnen und Leser (oh halt, besser geschlechtsneutral: Liebe Lesende), blenden Sie die Werbung von Versicherungen einfach aus!
Sie ist nicht nur unnütz, sondern oftmals sogar schädlich, denn sie vermittelt Ihnen völlig falsche Bilder von der Realität.

Und wenn Sie sich dieser furchtbaren Halbwahrheiten entledigt haben, dann überprüfen Sie einfach mal Ihren Versicherungsordner dahingehend, was Sie davon wirklich brauchen und sparen sich eine Menge Geld und Angst.

Nico Leander Grawert, September 2015