Die Finanzbildungswelt (und damit auch ich in meiner Doppelfunktion als Finanzbildungsanbieterin und als Vorstand von Geldlehrer e.V.) konzentriert sich im Augenblick sehr auf die neue deutsche Finanzbildungsstrategie, die von den Bundesministerien für Finanzen und Bildung & Forschung gerade ins Leben gerufen wird. Ich hatte darauf gehofft, diese Strategie würde die Finanzbildung und die Finanzbildungs-Wissenschaft im Land einen großen Schritt vorwärts bringen. Aber es zeichnet sich immer mehr ab, dass die nationale Finanzbildungsstrategie dabei ist, einen Weg zu beschreiten, den ich für falsch erachte.
Erfahrung und Praxis vs. Politik und Wissenschaft
Natürlich kannst Du mich jetzt fragen: Sag mal Anette, wer bist Du eigentlich, dass Du Dir herausnimmst, die Regierung, Wissenschaft, die OECD und wen auch immer in Sachen Finanzbildung zu kritisieren?
Ich bin eine Jemand, die seit 15 Jahren nichts anderes macht, als Finanzbildung zu lehren. Und seit 15 Jahren lerne ich, wie Finanzwissen gelehrt werden muss, damit es gesunde Früchte tragen kann. Ich arbeite mit Alten und Jungen, mit Selbständigen, Angestellten, Frauen und Männern, von Abitur bis Hauptschule, von Urdeutsch bis Migrationshintergrund, vom Pflegehelfer bis zur Universitätsprofessorin. Und ich habe unzählige Male gesehen, wie Menschen mit ihrem Geld und ihrem Leben umgehen, wenn sie finanzgebildet sind – und wenn nicht.
Von Anfang an falsch gedacht
Bereits beim Beginn der Kommunikation über die nationale Finanzbildungsstrategie habe ich schon wenig von der von Herrn Lindner ausgerufenen „Taxi-Methode“ gehalten, die besagt, dass sich die Strategie hauptsächlich auf die zeitlichen Berührungspunkte der jeweiligen finanziellen Herausforderung konzentrieren soll. Die Idee ist, dass z. B. Finanzierungswissen dann vermittelt werden sollte, wenn der zu schulende Mensch gerade dabei ist, sich ein Haus zu kaufen. Oder Altersvorsorgewissen dann, wenn man sich (endlich) mal mit seiner Altersvorsorge beschäftigt.
Ich dagegen bin fest davon überzeugt, dass Finanzbildung möglichst jung und ganzheitlich vermittelt werden sollte. Und dass dabei unbedingt zwischen Bildung und Information zu unterscheiden ist (ein Missstand, auf den ich nicht müde werde, hinzuweisen).
Informationen (vor allem im Detail) sind im grundsätzlichen Bildungsaufbau nur spärlich und im Kontext einzusetzen, denn hier geht es darum, eine solide und souveräne finanzielle Persönlichkeit zu entwickeln.
Daher ist eine Taxi-Strategie nur für bereits finanziell grundgebildete Menschen sinnvoll, denn die Einzel- und Feinheiten (also die Detailinformationen) gewinnen erst an Bedeutung, wenn tatsächlich ein Touch-Point im Leben erreicht ist.
Bestechend logisch, oder?
Bleiben wir bei dem Hausbeispiel:
Ich habe schon unzählige Menschen beraten und gecoacht, die ein Haus kaufen wollen. Bei sehr vielen dieser Gespräche stellte sich heraus, dass kein Eigenkapital vorhanden ist und kein ökonomischer Überblick darüber besteht, welch weitreichenden Konsequenzen bis hin zur Familienplanung so ein Hauskauf hat („Tja, wenn sie ein Kind und dann nur noch Teilzeit arbeiten gehen wollen, wird das mit der Finanzierung aber eng. In Urlaub fliegen ist dann erstmal nicht mehr drin.“). Wie gut, wenn das den ehemals hoffnungsfrohen Hausinteressenten noch vor der Unterschrift auf den Verträgen klar wird! Hier kommt die Finanzbildung viel zu spät und auch die beste Informationsvermittlung kann das Versäumnis kurzfristig nicht heilen.
Der Unterschied!
Kommt allerdings ein bereits finanzgebildetes Pärchen zur Beratung, ist das eine ganz andere Hausnummer:
Hier wurde schon vor Jahren damit begonnen, Eigenkapital aufzubauen. Es ist schon oft besprochen und überlegt, wie ein Hauskauf sich mit der Kinder- und Karriereplanung vereinbaren lässt. Die Größenordnung der Finanzierung / des Hauspreises ist realistisch dimensioniert und auch die Gedanken, dass für eine selbst bewohnte Immobilie Instandhaltungsrücklagen zu bilden sind und auch die Altersvorsorge nicht leiden darf, sind nicht neu. Eine völlig andere Ausgangslage also.
Hier und jetzt ist die Vermittlung von Finanzinformation angebracht: Welche Finanzierungsformen gibt es? Welche Absicherungsformen des Kredits gibt es? Wie funktioniert Wohnriester oder ein TA-Darlehen? Welche Förderungen kommen in Frage, wie funktionieren die? Was ist eine Zinswaage? usw.
Beim Touch-Point Altersvorsorge ist die Sachlage noch viel deutlicher:
Ein in jungen Jahren finanzgebildeter Mensch setzt sich ab Berufsbeginn mit der Thematik auseinander – und hat damit alle Zeit der Welt, sich mit Detailinformationen über Rürup, Riester, Versicherungen und Vermögensaufbau zu versorgen.
Aber diejenigen, die nicht in Schule, Ausbildung und Studium frühzeitig mit Finanzbildung versorgt wurden, kümmern sich erst mit 35, 45 oder gar 55 ernsthaft um ihre Altersvorsorge und bekommen all das Wissen, welches sie gebraucht hätten, um sich lässig und schmerzfrei eine ordentliche Rente aufzubauen, viel zu spät. (P.S.: Wenn ich für jedes „Das hätte ich gerne früher gewusst!“ einen Euro bekommen würde, könnte ich komplett pro bono arbeiten. )
Der Elefant im Raum
Selbstverständlich ist das alles den Verantwortlichen der nationalen Finanzbildungsstrategie auch klar, sie sind ja nicht dumm.
Anstatt aber ein finanzmathematisch und wissenschaftlich basiertes, pädagogisch wertvolles Konzept für ökonomische Bildung ab der 8. Schulklasse zu entwickeln und konsequent im Schulsystem umzusetzen (eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe – aber es gibt genug Leute, die sich mit sowas auskennen), wird auf eine wenig effiziente Taxi-Strategie gesetzt, damit man sich bloß nicht mit den Kultusministerien der Länder auseinandersetzen muss.
Der Bildungs-Föderalismus ist der von Amts wegen totgeschwiegene Elefant im Raum. Bei allen Veranstaltungen, die ich mittlerweile in Berlin zum Thema genießen dufte, waren die Länder schlicht nicht dabei. Keine Bildungsreferenten der Länder, keine KultusministerInnen, niemand, der etwas mit „Schule“ auf übergeordneter Ebene zu tun hatte, war offiziell anwesend.
Da die Bildungshoheit bei den Ländern liegt und sie eine der wenigen politischen Druckmittel derselben ist, wird also anscheinend von Regierungsseite versucht, die ökonomische Bildung an den Ländern vorbei unters Volk zu bringen. Wahrscheinlich mit der zuletzt sterbenden Hoffnung dahinter, dass sich nach Initialisierung der nationalen Strategie auch die Länder gezwungen sehen müssen, im Schulsystem Änderungen vorzunehmen.
Eine Strategie sollte auch strategisch sein: Vorne anfangen, hinten aufhören.
Bekannt für meine fehlendes diplomatisches Talent und meine politische Naivität kann ich darüber nur den Kopf schütteln:
Alle – wirklich alle – sind sich (zumindest vordergründig) darüber einig, dass finanzielle Bildung in die Schulen gehört! Wie kann es dann sein, dass aus politisch kurzsichtigen Motiven (sowohl des Bundes, als auch der Länder) eine solch unstrittige Geschichte nicht umgesetzt wird und Deutschland eine echte Finanzbildungs-Strategie bekommt?
Finanzbildung muss in den Ausbildungssystemen (Schule, Berufsschule, Studium) gelehrt werden, damit die Jungen finanziell gesund erwachsen werden können. Zusätzlich müssen die heute Erwachsenen über die Arbeitgeberseite (staatlich finanziert) grundsätzlich nachgeschult werden. Und dann darf (und soll!) eine Taxi-Strategie den Rest machen: Ob Touch-Point- oder Zielgruppenorientiert – hier können wir dann sinnvoll detailinformieren und alle die unterstützen, die ansonsten ausgespart oder vernachlässigt werden.
Ich behaupte, dass es keinen anderen Weg gibt, um das Ziel „Finanzbildung = Allgemeinbildung“ in den nächsten 10 – 15 Jahren zu erreichen.
Dass dieser Weg nicht beschritten wird, lässt mich zweifeln. Es lässt mich zweifeln an dem propagierten politischen Willen, die Bevölkerung wirklich finanziell mündig werden zu lassen. Es lässt mich zweifeln, dass die Finanzlobby hinter den Kulissen Einfluss nimmt, um eine verwässerte, im Grunde ineffiziente Strategie initialisiert zu wissen, damit die Provisionen ungehindert weiter fließen. Ich zweifle am föderalen Bildungssystem, ob es überhaupt noch eine Daseinsberechtigung hat oder haben sollte. Ich beginne, am guten Willen und am gesunden Menschenverstand zu zweifeln – und daran, ob wir etablierten Finanzbildungsanbieter in diese Strategie nur „eingebunden“ werden, damit wir sie nicht torpedieren.
Eingewickelt statt eingebunden?
Denn davon abgesehen, dass wir Finanzbildungsanbieter (ich werfe jetzt mal alle privaten, ehrenamtlichen und lobbyfinanzierten inkl. der Finfluencerszene in einen Topf) zwar öffentlichkeitswirksam nach Berlin geladen werden, damit wir pflichtschuldigst den neuen Entwicklungen huldigen, kann ich nicht feststellen, dass wir gehört werden. Es wurde ohne unsere Einflussnahme eine mehr als diskutierwürdige Plattform (www.mitgeldundverstand.de) aus dem Boden gestampft, Makulatur-„Workshops“ (bei denen nichts ernsthaft neu erarbeitet, sondern hauptsächliches mal wieder Bekanntes präsentiert wurde) abgehalten und mit unseren Daten eine OECD-Studie erhoben, deren Ergebnisse bereits jedem ordentlichen Finanzbildungsakteuer im Vorfeld völlig klar gewesen sein dürften. Im Oktober dürfen wir uns beim Festival der Finanzbildung dann untereinander darüber informieren, wer was anbietet (warum eigentlich?) und werden erfahren, wie die „Strategie“ jetzt wohl weiter umgesetzt werden soll… Ich frage mich, ob wir statt „eingebunden“ nicht eher eingewickelt werden?
Rechne und denke !
Du siehst also, ich bin trotz meiner anfänglichen Begeisterung langsam sehr skeptisch, ob das alles wirklich Finanzbildungs-Gold ist, was da so verzweifelt zu glänzen versucht. Außer diesen hier geäußerten grundsätzlichen Zweifeln, habe ich mittlerweile auch Inhaltliche, denn was momentan von Staats wegen gefördert und finanziert wird, ist für mich in der Hauptsache Spielerei, keine echte Finanzbildung. Gamification und Digitales sind wertvolle Ergänzungen – auf neudeutsch Add-Ons – zur Finanzbildung und dienen wunderbar zur Informationsvermittlung, ersetzen aber keine Bildung. Eine finanzielle Persönlichkeit wird man nämlich nicht durch ein Brett- oder Computerspiel und auch nicht, in dem Dir tolle Erklärungen zu Deinem Sollsaldo auf Deinen Kontoauszug gedruckt werden:
Eine finanzielle Persönlichkeit wird man nur, wenn man über Geld spricht, über Geld nachdenkt und mit Geld rechnet.
Liebe Anette,
ich teile deine Bedenken. Auf ganzer Linie. Und würde mich mit einer Antwort versuchen auf die Frage, warum Herr Lindner eine „Taxi-Strategie“ befürwortet. Im Übrigen ein seltsames Wortgebilde. Würde die Finanzbildungsstrategie so ansetzen, wie von dir beschrieben und von mir sehr befürwortet, würde die Masse der Menschen sofort verstehen, wie ungeniert Banken und Versicherungen sie über den Tisch ziehen und dass Staat inkl. Bafin dafür auch noch die Tür aufhalten. Anstatt die Banken wirklich in die Schranken zu weisen. Die Finanzindustrie würde schlagartig einen Großteil ihres Umsatzes verlieren und ihrer Bedeutung. Wollen das FDP, CDU und …? Sicherlich nicht. Deshalb ist das doch die beste Variante, Taxi, weil die Menschen dann immer noch wunderbar abgezockt werden können.
Die drastische Wortwahl entspricht den Tatsachen, wenn mensch bedenkt, womit die Sparkassen und Volksbanken aktuell sehr hohe Umsätze erzielen …
Wir bleiben dennoch dran an der Finanzbildung, liebe Anette. Auf unsere Art.
Gruß Dani
Liebe Dani,
ich bin sogar davon überzeugt, dass auch für die Finanzindustrie eine mündige und souveräne Bevölkerung sehr gesund wäre:
Nach einem anfänglichen (und völlig gerechtfertigten) Einbruch der Provisionsumsätze und Gewinne würde endlich ein schon seit langem notwendiger Bereinigungsprozeß die Spreu vom Weizen (den es ja auch gibt) trennen. Und auf mittlere und lange Sicht käme die übriggebliebene Finanzindustrie nicht nur aus dem Imageloch raus, sondern würde mit anständigem Geschäft nachhaltig ihren Fortbestand sichern (und dem Auftrag, die Bevölkerung mit notwendigen Finanzprodukten zu versorgen, nachkommen).
Was für ein wunderbarer Gedanke! (Komm, lass uns weiter träumen. 🙂 )
Liebe Grüße
Anette
Sehr klar ,
Ich hätte mir das alles früher gewünscht .
Finanzbildung gehört eindeutig in die Schule .
Ich stimme dir zu 100 zu …
Genau wie mindset und co .