Was für eine schöne Idee: Jeden Monat kommt Geld aufs Konto, einfach so.
1000 Euro oder mehr, dafür, dass wir da sind. 1000 Euro, die wir vollkommen frei verwenden dürfen: Egal, ob für die Miete, die Fortbildung, den Urlaub, zum Lebensunterhalt.

Wir könnten endlich dem ausbeuterischen Kapitalismus entfliehen, der für so viele Probleme verantwortlich ist. Es gibt keinen Zwang mehr, in einem ungeliebten Job zu verharren oder überhaupt einen anzunehmen. Finanzielle Freiheit für jedermann, von Anfang an. Was für eine schöne neue Welt!

Ich möchte Einspruch einlegen. Ein dickes „Veto!“

Wer es sich wie ich als Beruf/ung ausgesucht hat, sich mit Geld und seinen Auswirkungen zu beschäftigen, kommt nicht umhin, sich auch mit dem BGE zu befassen. Ich beobachte seit 30 Jahren all die Konsequenzen, die die Jagd nach dem Geld auf allen Ebenen hat: Ob im jeweiligen Einzelschicksal, in der Politik oder auf Konzernebene, die Folgen sind tatsächlich unerträglich.

Wir ersticken menschliches Potential bereits im Keim, weil wir schon unsere Kinder aufs Geld verdienen dressieren. Allen, die sich dem Leistungsprinzip nicht unterwerfen können oder wollen, werden die Flügel gestutzt. Wir beuten unsere Umwelt bis zur Selbstzerstörung aus, weil nur der haltlose Konsum die Gewinne optimiert.

Eine Lösung, so scheint es, wäre es, das Rad einfach anzuhalten. Entheben wir den Mensch in unserer Überflussgesellschaft doch einfach: Geben wir jedem einzelnen genug Geld in die Hand, zum Überleben nicht mehr jagen zu müssen. Ohne wenn und aber, schlechtes Gewissen, Bedingung und ohne Zweckbestimmung. Die Folge, so der gute Wille hinter diesem revolutionären Gedanken, ist: Da der Mensch an sich gut und strebsam ist, so wird er mit Befreiung davon, seinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen, ganz neue Wege finden, sein Leben zu gestalten. Und wer nicht mehr nützlich sein muss, der wird feststellen, dass er nützlich sein will: Für sich, für andere, für die Gesellschaft, für seine Umwelt.

Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens

Ich habe die Idee also mal durchgespielt und in unserem bestehenden Wirtschafts- und Steuersystem gedanklich ein BGE installiert. Seitdem bin ich geheilt.
Ich bin mir sicher, wir würden unsere Gesellschaft zerreißen. Die Schere zwischen arm und reich würde noch viel schneller und weiter auseinanderklappen, als sie es sowieso schon tut: Mehr Geld ist nicht die Lösung unserer Probleme, das bedingungslose Grundeinkommen wäre vielmehr der Grabstein, den wir auf das Loch stellen müssten, in dem wir unsere soziale Marktwirtschaft verbuddelt haben.

Die Definition

Das Bedingungsloses Grundeinkommen ist ein Einkommen, das eine politische Gemeinschaft bedingungslos jedem ihrer Mitglieder gewährt. Es soll die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, einen individuellen Rechtsanspruch darstellen sowie ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen garantiert werden.

Das Grundeinkommen stellt somit eine Form von Mindesteinkommenssicherung dar, die sich von den zur Zeit in fast allen Industrienationen existierenden Systemen der Grund- bzw. Mindestsicherung wesentlich unterscheidet. Das Grundeinkommen wird erstens an Individuen anstelle von Haushalten gezahlt, zweitens steht es jedem Individuum unabhängig von sonstigen Einkommen zu, und drittens wird es gezahlt, ohne dass eine Arbeitsleistung, Arbeitsbereitschaft oder eine Gegenleistung verlangt wird.

(Zitat von https://www.grundeinkommen.de/grundeinkommen/idee)

Echt bedingungslos? Also ab Geburt.

Okay. Ab wann zahlen wir das BGE denn? Um wirklich bedingungslos zu sein, müssten wir es mit der Geburt zahlen.
Es wäre also bis zum Schulabschluss oder bis zum 18ten Geburtstag die Entsprechung eines dicken, fetten Kindergelds. Die Logik verlangt allerdings, dass dann die Kindergärten (wieder bzw. weiterhin und mehr) Geld kosten müssen, denn die finanzielle Gewährleistung der Existenz bedeutet auch die Übertragung der finanziellen Verantwortung an das Individuum (hier also an die Eltern).

Kindergärten sind wirtschaftliche Unternehmen, selbst wenn sie nicht auf eine großartige Gewinnabsicht heraus konzipiert sind (z. B. kirchliche oder gemeinnützige Einrichtungen), so verursachen sie eine Menge Kosten. Mit der Zahlung eines BGEs pro Kind ist der Staat aber aus der Subventionierung von Kindergärten raus: Jedes Kind kann ja nun seinen Kindergartenplatz selbst bezahlen. Die Folgen sind die Verbetrieblichung von Kindergärten. Daraus resultierend würde ein Preiswettkampf. Ob das sehr sozial ist?

Während sich bei den Kindergärten die Familien noch entziehen könnten, indem sie ihre Kinder einfach nicht hinschicken, wird es beim Schuldgeld dann schwierig. An der Schulpflicht werden wir nämlich hoffentlich nicht rütteln.

Auch hier sehe ich ein Riesenproblem:

Selbst wenn ein Großteil der Infrastruktur weiterhin kostenfrei vom Staat gestellt würde (eher schlecht als recht, aber immerhin), so käme der sogenannte Sozialstaat aus wirtschaftlichen Gründen nun nicht mehr umhin, ein Schulgeld zu verlangen.

Die Folgen daraus wären ein sich weiter privatisierender Schulsektor: Die, die es sich leisten können, weil sie nicht nur auf das BGE angewiesen sind, werden ihre Kinder auf „gute Schulen“ (mit den gut(verdienend)en Lehrern) schicken. Die BGE-Kinder bekommen dann auch eine BGE-Bildung. Ist das sozial?
Da diese Überlegung an sich schon gesellschaftszersetzend ist, möchte ich darauf verzichten, das BGE schon ab Geburt zu bezahlen. Verbessern wir an dieser Stelle lieber das bestehende System und denken weiter mit einer bedingten BGE-Zahlung nur an Erwachsene.

Bedingungsloses Grundeinkommen ab 18

Wir führen das BGE erst mit der (dann doch) Bedingung Volljährigkeit oder Schulabschluss ein. Wir nehmen den Druck raus, gleich schon Geld verdienen zu müssen. Es wird die Freiheit geschaffen, sich in Ruhe den Beruf aussuchen zu können, der uns glücklich macht.
Wir können unterbezahlte Jobs ablehnen, stressfrei studieren oder uns gar ohne Existenzangst selbständig machen.
Das ist eine super Idee – für diejenigen, die ein Ziel und eine Richtung in ihrem Leben haben, die Ehrgeizigen. Für diejenigen, für die das Prinzip „Eigenverantwortung“ einen Grundwert darstellt und die bereits in jungen Jahren in der Lage sind, diese Verantwortung auch zu wahren.

Was ist mit den anderen?

Wie steht es um jene, die den Arsch einfach nicht hochbekommen? Was ist mit den vielen orientierungslosen Schulabgängern, die im Phlegma versinken, weil sie einfach nicht wissen, was sie tun wollen? Mit denen, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht zu dem Teil der Menschheit gehören, für die es selbstverständlich ist, zu streben, produktiv zu sein oder gar eine Berufung zu finden?

Wir entheben sie. Entheben sie der Möglichkeit, durch die Notwendigkeit – ja, den Zwang – des Geldverdienens, ihren Horizont zu erweitern und Möglichkeiten zu suchen. Wir lassen sie zurück. Verschwenden junge Menschen halt ein paar Jahre ihres Lebens mehr darauf, warm, genährt und trocken nicht zu wissen, wo es in ihrem Leben hingehen soll – macht ja nix, sie werden sich schon berappeln, wenn ihre Persönlichkeit so weit gereift ist.

Ja, auch ich bin fest davon überzeugt, dass der Mensch per se nicht dazu gemacht ist, tagein, tagaus auf der Couch zu sitzen und Fern zu sehen oder Computer zu spielen. Aber woran und wie lange soll sie denn reifen, die Persönlichkeit? Ein Garen im eigenen Saft mag für viele Lebensmittel durchaus aromatisch sein, ich glaube aber, dem Menschen tut sowas überhaupt nicht gut. Die Herausforderungen im Außen sind es, die Anstoß geben, auch innerlich zu wachsen.
Wie sozial ist es, diese Herausforderungen nur denjenigen zur Verfügung zu stellen, die sich sowieso immer dafür entscheiden würden, sie anzunehmen?

Was ist mit denjenigen, die keine Arbeit mehr finden?

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, vom Arbeitsamt bezahlte Umschulungen und Weiterbildungen, Hartz IV und Grundsicherung werden abgeschafft, mit einem BGE besteht dazu keine Notwendigkeit mehr. Es ist vollkommen egal, warum Du am Erwerbsleben nicht teilnimmst. Deine Existenz steht niemals auf dem Spiel, also schau, wie Du durchs Leben kommst.
Wir sprechen uns frei und waschen unsere Hände in Unschuld. Immerhin haben wir dafür Sorge getragen, dass niemand verhungern muss und keiner unter der Brücke schläft, damit sind wir durch. Nach uns die Sintflut.
In meiner Welt geht diese Rechnung nicht auf. Im Gegenteil. Ich bin mir sicher, dass ein BGE sogar an der Obdachlosenproblematik nicht einen Deut ändern würde. Hier ist genauso wenig das Geld das Problem, wie es beim BGE der Problemlöser ist.

Das BGE wäre ein wirklich gutes Geschäft für den Staatshaushalt

Diejenigen, die vordergründig das BGE ganz toll finden, es aber nur wegen der angeblichen Unfinanzierbarkeit ablehnen, sei gesagt: Was für ein Unsinn, nichts wäre leichter als das.
Ich brauche nicht mal in unsere Haushaltrechnungen und Staatsfinanzen reinzuschauen, um das zu finanzieren. Wie oben schon angedeutet, können wir ja einen Großteil des sozialen Überbaus abschaffen. Das Arbeitsamt muss nur noch Arbeitslosengeld I zahlen und mutiert zu einer Stellenvermittlungszentrale.

Zusatzleistungen entfallen

Sonder- und Zusatzleistungen sind im großen und ganzen obsolet, wir brauchen nur noch eine zusätzliche Bedürftigkeitsunterstützung für Gehandicapte, Waisen und Pflegebedürftige (wobei: Da jetzt ja jeder von Anfang an seinen Teil zur Pflegeversicherung und auch später zur Pflege beitragen kann, muss die Familien-Pflegeversicherung ja nun wegfallen …das könnte dann im Laufe der Zeit vielleicht sogar aufgehen.)
Wir brauchen keine Aufstockung mehr, kein Wohngeld, keine Grundsicherung, das ganze Gewese mit der geplanten Grundrente und der Zwangs-Altersvorsorge für Selbständige können wir uns sparen. Bürokratie und Verwaltung können auf Minimum zurückgefahren werden. Die an dieser Stelle eingesparten Lohnkosten und großflächig gestrichenen Sozialleistungen dürften schon genügen, einen netten Teil des BGEs bezahlen. Um die dann arbeitslosen Verwaltungskräfte müssen wir uns ja keine Sorgen machen. Diese haben dann ja ein Jahr Zeit, sich – finanziert durch ihr ALG I und das BGE – beruflich umzuorientieren.

Natürlich müssen wir den sozialen Wohnungsbau noch dringender vorantreiben als bisher, denn die Mietpreise im privaten Sektor werden stärker steigen – was natürlich auch weitere Steuereinnahmen bedeutet, also auch irgendwie finanzierbar sein wird (die Schleife ist mir gerade zu groß, die kann ich nicht zu Ende denken).

Sowieso können wir auf der Einnahmenseite schöne Steigerungen erzielen. Durch die Privatisierung der meisten ehemals sozialen Einrichtungen könnten wir Steuereinnahmen auslösen. Auch die Einnahmen aus Steuern auf die Erträge von Kapitalanlagen würden steigen. Wenn schon bedingungslos, dann zahlen wir das BGE natürlich auch an die Leute, die bereits gut situiert sind.

Der Teufel scheißt auf den dicksten Haufen

Was würde so jemand wie ich denn mit einem BGE anfangen? Klar, in jungen Jahren hätte ich viel Spaß damit gehabt, mehr oder teurer in Urlaub fahren zu können. Vielleicht hätte ich früher und in Vollzeit studiert, statt später neben dem anstrengenden Job. Und ich hätte mich vielleicht früher und leichter selbständig gemacht, die Kinder in eine noch bessere Schule geschickt.

Insgesamt hätte ich die Pobacken wohl weniger zusammenkneifen müssen. Aber ziehe ich nicht auch einen Teil an Selbstbewusstsein daraus, mich gegen Wider- und Umstände durchgesetzt zu haben? Weil ich immer schon ein Geld- Kopf- und Verstandeskind war, hätte ich mit Sicherheit noch mehr gespart, mehr angelegt und mehr Rendite erwirtschaftet. Und natürlich hätte ich mehr Steuern bezahlt. Warum auch nicht, es hätte mir ja nicht weh getan. Die wahre Folge eines BGE ist, dass die Reichen noch Reicher werden. Diejenigen, die das BGE dauerhaft dafür verwenden müssen, ihre Existenz zu sichern, würden aber schon wieder auf der Strecke bleiben. Was ist daran sozial?

Eine schöne Idee und wirkliche Lösungen

Es ist eine wunderbare Idee, dem Menschen die Freiheit geben zu wollen, der Jagd nach dem Geld zu entsagen. Sie unabhängig zu machen von dem Gedanken: „Wie komme ich über den Monat, was stelle ich zu essen auf den Tisch und wo nehme ich die Zeit her, meine Kinder großzuziehen (weil ich soviel arbeiten muss)?“
Solange wir uns darüber einig sind, dass die Marktwirtschaft das beste aller Wirtschaftssysteme ist, geht die Idee leider nicht auf.

Ein BGE ändert nur im Einzelfall das persönliche Schicksal – aber es heilt im Grundsatz weder schlechte Bildung noch fehlenden Ehrgeiz. Ja, wir erleichtern denjenigen, die sowieso Wollen und Streben den Weg durchs Leben – aber wir lassen alle anderen zurück.

Keine Frage, unser bestehendes System ist (zwar gut gedacht, aber) wirklich, wirklich schlecht gemacht.
Keine Frage, es bedarf dringend der Entbürokratisierung und des Umbaus.

Aber: Ein konsequent bedingungsloses Grundeinkommen für jedermann und über die gesamte Lebenszeit hinweg wäre der asozialste und – im negativen Sinne – kapitalistischste Weg, der einem dazu einfallen könnte.

Lasst uns

  • über die Einrichtung eines Stipendium-Systems nachdenken und das BaFöG entstauben.
  • die  Grundsicherung entstigmatisieren und Sabbatical-Crowdspendings als steuerlich spendenfähig pushen.
  • endlich dieses entsetzlich unmoderne Bildungssystem einreißen – es gehört nicht nicht nur renoviert, sondern komplett neu gedacht! Es passt einfach nicht zu den Menschen die wir heute sind und sein wollen.

Aber lasst uns nicht daran rütteln, dass alles im Leben seinen Preis hat.