2018 habe ich mich gefragt (in diesem Artikel: https://www.finanzbildung.jetzt/frauen-finanzbildung-sinnvolle-notwendigkeit-oder-verkappter-sexismus/), ob spezielle Finanzangebote für Frauen sinnvoll oder sexistisch sind. Da ich meine Meinung immer wieder auf den Prüfstand stelle und mir meine eigenen Beiträge ab und an wieder vornehme, habe ich mir das Thema nochmal vor die Brust genommen.
Damals war ich unentschlossen. Heute, nach weiteren 6 Jahren Beobachtung und weiteren hunderten Gesprächen mit Kund:innen, bin ich klarer: Der „Frauen und Finanzen“-Trend ist teilweise berechtigt, wird aber oft falsch umgesetzt.
Es ist Zeit für eine weitere vorläufige Analyse – ohne Political Correctness, sorry, not sorry!
Was seitdem geschah: Der Finfluencerinnen-Boom
2018 gab es eine Handvoll Finanzblogs für Frauen. Heute ist Instagram voll von 25-jährigen „Finanzexpertinnen“, die dir erklären, wie du mit ETFs reich wirst. TikTok quillt über vor „Money Queens“ und „Boss Babes“.
Das Gute: Finanzen sind endlich kein Männerthema mehr. Junge Frauen reden offen über Geld.
Das Schlechte: Viele dieser „Expertinnen“ haben weniger Ahnung als ihre Follower, aber mehr Marketing-Skills.
Das Hässliche: Die Finanzindustrie hat das Geschäft gewittert und pumpt Millionen in „Female Finance“.
Die Finfluencerinnen-Falle
Ich sehe es regelmäßig: Frauen kommen zu mir, die jahrelang Influencerinnen gefolgt sind und trotzdem keinen Plan haben. Warum? Weil zwischen „Geld ist wichtig, Mädels!“ und konkreter Finanzplanung ein riesiger Unterschied liegt.
So sieht ein typisches Influencerinnen-Programm aus:
- Mindset: „Du verdienst mehr Geld!“
- Sparen: „Tracke deine Ausgaben!“
- Investieren: „Mach einen ETF-Sparplan bei Trade Republic!“
- Selbstständigkeit: „Werde dein eigener Boss!“
Was fehlt: Individuelle Situationen, echte Beratung, unangenehme Wahrheiten.
Pink Banking und andere Marketing-Katastrophen
Seit 2020 überbieten sich Banken mit „Frauenprodukten“. Die N26 Women bietet ein pinkes Konto mit „female-empowering“ Features. Die Comdirect Female Finance bietet Webinare für Frauen. Die DKB Frauen-Investment bietet nachhaltige Fonds für Frauen (aha?)! und diverse Robo-Advisor werben mit „Women-friendly“ Portfolios.
Meine Meinung: Das ist Marketing-Bullshit. Ein ETF ist ein ETF, egal ob Mann oder Frau ihn kauft. Geld hat kein Geschlecht, Finanzprodukte tragen keinen BH.
Was mich richtig nervt
Die Infantilisierung!
Frauen werden behandelt, als wären sie besonders schutzbedürftig. „Liebe Frauen, hier ist Finanzberatung extra für euch, weil ihr das alleine nicht könnt.“
Das sog. „Pink-Washing“.
Wir malen einfach alles rosa an und schreiben „For Women“ drauf. Als würden Frauen andere Renditen brauchen (oder alle auf rosa stehen!)
Vereinfachungen wie „Frauen wollen Sicherheit, Männer wollen Rendite.“ Quatsch. Ich kenne risikofreudige Frauen und ängstliche Männer und auch die Wissenschaft kommt nicht zu dem Ergebnis, dass die Geschlechter pauschal so einzusortieren wären.
Emotionalisierung „Frauen investieren emotionaler.“ Mag sein. Aber die Lösung ist nicht, diese Emotionen einseitig zu bestärken, sondern Bauch und Ratio mittels Wissen und Bildung in Gleichklang zu bringen.
Die unbequeme Wahrheit über Frauen und Geld
Ja, es gibt Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei Finanzthemen. Aber nicht die, die alle glauben.
Was wirklich anders ist
Die Lebensrealität: Frauen bekommen die Kinder (wenn sie denn welche bekommen) und arbeiten deshalb öfter Teilzeit. Sie leben laut Statistik von 2023 immer noch länger, verdienen lebenslang im Schnitt weniger, bauen deshalb weniger Vermögen auf und haben komplexere Erwerbsbiografien.
Die gesellschaftlichen Erwartungen: Von Frauen wird erwartet, dass sie sich um Familie kümmern, von Männern, dass sie Geld verdienen. Diese Rollen ändern sich, aber noch immer langsam.
Die Sozialisierung: Hat sich da wirklich was getan? Junge Mädchen werden immer noch seltener in familiäre „Finanzgespräche“ einbezogen, Jungs werden öfter mit Geld für Leistung belohnt (was ich persönlich im innerfamiliären Bereich ganz furchtbar finde!), und Finanzthemen gelten immer noch als „männlich“. Hier bewegt sich erschreckend wenig.
Was NICHT anders ist
Die Intelligenz (echt jetzt?): Frauen können genauso gut rechnen, wirtschaftliche und finanzpolitische Zusammenhänge verstehen, Schlussfolgerungen ziehen und langfristig planen wie Männer. Wer etwas anderes behauptet, lebt noch im letzten Jahrhundert.
Die Risikobereitschaft: Ich kenne genug risikofreudige Frauen und ängstliche Männer. Das ist individuell, nicht geschlechtsspezifisch. Diese Klischees nerven mich tierisch.
Das Interesse an Geld: Frauen interessieren sich genauso für Geld wie Männer, sie reden nur seltener darüber (und sie sind nicht ganz so laut dabei). Das liegt an der Erziehung, nicht an mangelndem Interesse.
Meine Beobachtung:
In den letzten Jahrzehnten meiner Arbeit habe ich sowohl Männer als auch Frauen beraten und ja, es gibt Tendenzen die ich eher einem Geschlecht als dem anderen zuordnen würde. Was aber beide oft falsch machen:
Zu spät anfangen: Egal ob Mann oder Frau, die meisten fangen zu spät mit der Altersvorsorge an.
Emotionale Entscheidungen: Beide Geschlechter lassen sich von Gier und Angst leiten.
Zu wenig Wissen: Die Unwissenheit ist gleichmäßig verteilt.
Warum Frauenkurse dennoch Sinn machen (können):
Obwohl ich den Hype kritisch sehe, gibt es gute Gründe für diese genderspezifischen Kurse. Warum? Es geht nicht darum, dass Frauen schutzbedürftiger sind. Es geht um Gruppendynamik.
In gemischten Gruppen passiert oft folgendes: Männer reden mehr und länger, Frauen stellen seltener (vermeintlich) „dumme“ Fragen, es entwickelt sich eine Konkurrenz-Atmosphäre. Daher werden persönliche Themen seltener angesprochen.
In reinen Frauengruppen dagegen trauen sich alle, Fragen zu stellen, persönliche Situationen werden offener besprochen, es entsteht eine Lern-Atmosphäre statt Wettbewerb und emotionale Aspekte können thematisiert werden.
Das hat nichts mit weiblicher Schwäche zu tun, sondern mit sozialer Dynamik.
Was für mich jedoch in Frauen-Finanzgruppen NICHT passieren sollte ist …
… dass ein Victim-Mindset gefördert wird „Die bösen Männer/Banken/System sind schuld an eurer Situation.“ Männer sind böse, oder sowas in die Richtung. Ich bin für ein miteinander! Wir haben genug Gegeneinander in der Welt!
… dazu ermutigt zu werden Gefühle über Fakten zu stellen „Höre auf dein Bauchgefühl“ ist kein Anlageratschlag.
… unrealistische Versprechen abzugeben „Mit diesem System wirst du finanziell frei“ (in rosa Schrift).
… die Komplexität auszuklammern. Echte Finanzplanung ist komplex. Wer das verschweigt, betrügt.
Was kommen wird – was bleibt
Ich glaube (und hoffe), dass wir uns von den reinen „Für Frauen“ Produkten wieder wegbewegen werden. Es wird mehr Ausdifferenzierung geben. Statt „Frauen und Finanzen“, eher spezifische Zielgruppen: Alleinerziehende, Gründerinnen, Wiedereinsteigerinnen. Außerdem glaube (und hoffe) ich, dass die Influencerinnen-Blase platzen wird und sich echte Expertise durchsetzt.
Was (leider) vorerst bleibt, sind die strukturellen Unterschiede. Solange Frauen stärker die Verantwortung (und die finanziellen Konsequenzen) für die Kinder tragen, brauchen sie andere Finanzstrategien. Spezielle Gruppen, die speziellen Bedürfnissen und unterschiedlichen Lernstilen gerecht werden, sind durchaus sinnvoll: manche lernen besser in homogenen Gruppen.
Meine drei Thesen für echte Gleichberechtigung
Erstens: Gleichberechtigung heißt nicht Gleichmacherei. Männer und Frauen sind unterschiedlich, das zu leugnen hilft niemandem. Aber diese Unterschiede rechtfertigen keine Benachteiligung.
Zweitens: Finanzbildung muss individuell sein. Nicht „Frauen brauchen…“, sondern „Menschen in deiner Situation brauchen…“. Eine alleinerziehende Ärztin hat andere Bedürfnisse als eine verheiratete Verkäuferin.
Drittens: Echte Emanzipation kommt durch Kompetenz. Frauen brauchen keine Schonung, sondern Wissen. Wer seine Finanzen unabhängig im Griff hat, ist automatisch emanzipiert.
Was ich mir wünsche und von wem
Von der Finanzindustrie: Hört auf mit dem Pink-Washing und macht gute Produkte für alle.
Von den Influencerinnen: Werdet besser oder hört auf – Unwissen in hübsche Videos zu verpacken hilft niemandem.
Von Frauen: Lasst euch nicht infantilisieren, ihr seid erwachsene Menschen, die selbst entscheiden können.
Von Männern: #Esgehtnurgemeinsam! Werdet euch eurer Privilegien bewusst und macht Gleichberechtigung auch zu eurem Thema (es will euch niemand etwas wegnehmen. Ihr bekommt was dazu.) Engagiert euch mehr bei Familienthemen, Finanzplanung ist Teamsport.
Von der Politik: Schafft echte finanzielle Anerkennung und Ausgleich bei Kinderbetreuung und Rente, statt viel zu reden und zu flickschustern.
Zusammenfassend bleibt:
Der „Frauen und Finanzen“-Trend hat Gutes bewirkt: Mehr Frauen beschäftigen sich mit Geld. Das ist wichtig und richtig.
Aber er hat auch Schäden angerichtet. Frauen werden zum Teil als hilfsbedürftige Wesen dargestellt, die besondere Behandlung brauchen.
Die Wahrheit ist simpler: Frauen brauchen oft andere Finanzstrategien als Männer – nicht weil sie anders denken, sondern weil sie anders leben.
Ich finde:
Zielgruppen sind wichtiger als Geschlechter. Eine 30-jährige Gründerin hat mehr gemeinsam mit einem 30-jährigen Gründer als mit einer 60-jährigen Rentnerin.
Gute Finanzbildung ist geschlechtsneutral: Mathe, Zinsen und Renditen funktionieren für alle gleich.
Echte Gleichberechtigung entsteht durch Kompetenz. Wer seine Finanzen im Griff hat, braucht keine Sonderbehandlung.
Geld kennt kein Geschlecht. Aber Menschen haben verschiedene Lebensrealitäten. Und darauf muss gute Beratung eingehen.
In diesem Sinne: Liebe Frauen, ihr seid nicht „schwächer“, nur manchmal anders. Liebe Männer, ihr seid nicht „besser“ in Finanzen, nur lauter. Und liebe Finanzindustrie: Rosa ist keine Anlagestrategie.
Du willst ehrliche Finanzberatung ohne Gender-Marketing? Dann bist du bei mir richtig – egal welches Geschlecht.
Danke für deinen interessanten Blick.
Ich fand deinen Artikel super und deine Herangehensweise großartig. Gerade jetzt brauchen wir Empowerment – nicht wieder einen vorgeschalteten „Beschützer“.
Ich verstehe aber auch, woher das kommt: Die Geschichte der selbstständigen Frau ist noch sehr jung. Wir dürfen kollektiv wachsen und uns gegenseitig stärken!