Künstliche Intelligenz revolutioniert die Finanzberatung. Aber Vorsicht: KI kann dir helfen, die richtigen Fragen zu stellen – die Antworten solltest du dir woanders holen.
„Anette, ich brauche dich nicht mehr. ChatGPT hat mir schon einen kompletten Finanzplan erstellt!“ Diese Aussage hörte ich letzte Woche von einem potenziellen Kunden. Als ich nachfragte, was die KI ihm empfohlen hatte, wurde schnell klar: Der „Plan“ war ein generischer Ratschlag, der für einen 25-jährigen Single genauso gepasst hätte wie für den 55-jährigen Familienvater vor mir.
KI ist das neue Zauberwort in der Finanzbranche. Jeder nutzt sie, jeder redet darüber. Aber wie bei jeder Revolution gibt es auch hier Gewinner und Verlierer. Die Gewinner wissen, wie sie KI richtig einsetzen. Die Verlierer glauben alles, was ihnen der Computer sagt.
Die KI-Illusion: Wenn Algorithmen alles wissen sollen
Letzten Monat ging ein Beispiel viral, das perfekt zeigt, warum blinde KI-Gläubigkeit gefährlich ist. Ein Mann fragte ChatGPT: „Soll ich meine Riester-Rente kündigen?“ Die Antwort: „Riester-Renten sind oft unrentabel. Sie sollten eine Kündigung in Betracht ziehen und stattdessen in ETFs investieren.“
Das Problem? Der Mann war 62, hatte bereits 18 Jahre eingezahlt und würde in drei Jahren eine ordentliche Riester-Rente bekommen. Eine Kündigung wäre finanzieller Selbstmord gewesen. Aber das konnte die KI nicht wissen – sie kannte weder sein Alter, noch seine Situation, noch die Details seines Vertrags.
Das ist das Grundproblem: KI gibt dir immer eine Antwort, auch wenn sie keine Ahnung hat. Sie wirkt dabei so überzeugend, dass du denkst, sie müsse recht haben.
ERWISCHT: Diese Geschichte ging gar nicht viral – aber als ich die KI um ein Beispiel bat hat sie mir das ausgespuckt – als ich nachfragte: Gib mir den Link – zeig mir die Story, kam: NICHTS außer einer Entschuldigung. Tut mir leid Anette, ich habe ein Beispiel erfunden, du hast recht!
Was KI in Finanzfragen wirklich kann (und was nicht)
Nach intensiver Beschäftigung mit KI-Tools kann ich dir sagen: KI ist ein fantastisches Werkzeug – aber ein lausiger Berater.
Was KI gut kann:
Informationen sammeln: ChatGPT erklärt dir in Sekunden, wie die Abgeltungssteuer funktioniert oder was ein Swap-ETF ist. Das ist brillant für die Grundlagenarbeit.
Fragen generieren: KI ist genial darin, dir zu zeigen, welche Fragen du dir überhaupt stellen solltest. „Was muss ich bei der Altersvorsorge beachten?“ wird zu einer detaillierten Checkliste.
Szenarien durchspielen: „Was passiert, wenn ich mit 55 in Teilzeit gehe?“ KI kann dir verschiedene Varianten durchrechnen.
Begriffe erklären: Fachchinesisch in verständliche Sprache übersetzen – dafür ist KI perfekt.
Was KI nicht kann:
Deine individuelle Situation verstehen: KI kennt deine Ängste nicht, deine Ziele nicht, deine Lebensumstände nicht. Sie sieht nur Zahlen, keine Menschen.
Risiken richtig bewerten: KI kann dir sagen, dass Aktien schwanken. Sie kann dir nicht sagen, ob du diese Schwankungen psychisch verkraftest.
Langfristig denken: KI optimiert für heute. Aber was ist, wenn sich deine Situation in 10 Jahren ändert?
Verantwortung übernehmen: Wenn der KI-Ratschlag schiefgeht, ist ChatGPT nicht da, um dir zu helfen.
Die gefährlichen KI-Halbwahrheiten
Das Perfide an KI-Antworten: Sie sind nicht offensichtlich falsch. Sie klingen logisch und fundiert. Aber sie sind oft unvollständig oder im Kontext falsch (im Fachjargon nennt man das „Halluzinationen“).
Beispiel 1: ETF-Empfehlung KI-Antwort: „Investieren Sie in den MSCI World ETF. Das ist ein diversifizierter, kostengünstiger Fonds.“ Was fehlt: Ist der Fragesteller überhaupt der ETF-Typ? Kann er Schwankungen verkraften? Hat er schon eine Grundabsicherung? Passt das zu seinen anderen Investments? Und: Es gibt gar keinen „den MSCI World ETF“.
Beispiel 2: Versicherungsberatung KI-Antwort: „Eine Berufsunfähigkeitsversicherung ist essentiell. Schließen Sie schnell eine ab.“ Was fehlt: Welche Risiken hat der konkrete Beruf? Welche Gesundheitsfragen gibt es? Welche Leistungen sind wirklich wichtig? Was kostet das und ist es bezahlbar?
Beispiel 3: Steueroptimierung KI-Antwort: „Nutzen Sie die Riester-Förderung voll aus. Das spart Steuern.“ Was fehlt: Lohnt sich das bei dem konkreten Einkommen? Gibt es bessere Alternativen? Wie sieht die spätere Besteuerung aus?
Dein KI-Leitfaden für Finanzfragen
So nutzt du KI richtig für deine Finanzplanung:
Gute Fragen an KI für die Grundlagen:
- „Welche Arten der Altersvorsorge gibt es in Deutschland?“
- „Wie funktioniert die Abgeltungssteuer?“
- „Was ist der Unterschied zwischen ausschüttenden und thesaurierenden ETFs?“
Nicht fragen:
- „Welcher ETF ist der beste für mich?“
- „Soll ich meine Lebensversicherung kündigen?“
KI nutzen um die richtigen Fragen zu finden, die du stellen solltest:
- „Welche Fragen sollte ich mir für meine Altersvorsorge stellen?“
- „Worauf muss ich bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung achten?“
- „Welche Informationen braucht ein Finanzberater von mir?“
mit KI Szenarien durchspielen
- „Wie entwickelt sich mein Vermögen bei verschiedenen Sparraten?“
- „Was passiert mit meiner Rente, wenn ich früher aufhöre zu arbeiten?“
- „Wie wirkt sich Inflation auf verschiedene Anlageformen aus?“
Beratung vorbereiten mit KI
- „Welche Fragen sollte ich einem Finanzberater stellen?“
- „Wie erkenne ich einen guten Honorarberater?“
- „Worauf muss ich bei Finanzprodukten achten?“
Die goldenen KI-Regeln für Finanzfragen
Regel 1: KI für Wissen, Menschen für Entscheidungen Lass dir von KI erklären, wie Dinge funktionieren. Aber lass Menschen entscheiden, was für dich das Richtige ist.
Regel 2: Immer eine zweite Meinung Was KI dir empfiehlt, lass von einem echten Experten gegenchecken. Besonders bei wichtigen Entscheidungen.
Regel 3: Kontext ist King KI kennt deine Situation nicht. Gib so viele Details wie möglich – oder hol dir menschliche Beratung.
Regel 4: Skepsis ist gesund Wenn eine KI-Antwort zu einfach klingt für ein komplexes Problem, ist sie wahrscheinlich unvollständig.
Regel 5: Fragen statt Antworten Nutze KI, um die richtigen Fragen zu finden, nicht um finale Antworten zu bekommen.
Warum KI meine Arbeit besser macht (aber nicht ersetzt)
KI hat meine Beratung revolutioniert – aber nicht so, wie viele denken. Sie macht mich nicht überflüssig, sondern effektiver.
Früher: Kunde kommt völlig unvorbereitet. Ich erkläre eine Stunde lang Grundlagen, bevor wir überhaupt zur individuellen Beratung kommen.
Heute: Kunde hat sich mit KI vorbereitet, kennt die Begriffe, hat konkrete Fragen. Wir können sofort in die Tiefe gehen.
Früher: Ich muss komplizierte Berechnungen manuell machen oder mit Excel basteln.
Heute: KI erstellt mir in Sekunden Vergleichsrechnungen, die ich dann interpretiere und anpasse.
Früher: Kunden verstehen nicht, warum ich bestimmte Dinge empfehle.
Heute: Ich lasse KI die Zusammenhänge erklären, die Kunden verstehen besser.
Die Zukunft: KI-unterstützte Beratung
In fünf Jahren wird jeder gute Finanzberater KI nutzen. Aber die besten werden immer noch Menschen sein. Warum?
Empathie: KI kann nicht verstehen, dass du nachts nicht schlafen kannst, wenn dein Depot schwankt.
Erfahrung: KI hat keine 35 Jahre Krisen, Kundenpleiten und Marktturbulenzen miterlebt.
Verantwortung: Wenn etwas schiefgeht, ist ein Mensch da, der dir hilft. KI ist einfach weg.
Intuition: Manchmal ist das Bauchgefühl wichtiger als die perfekte Berechnung.
Meine Prognose für 2030
KI wird Standard: Jeder wird KI für Finanzfragen nutzen. Wer das nicht kann, ist abgehängt.
Berater werden spezialisierter: Einfache Fragen beantwortet KI. Berater kümmern sich um komplexe, individuelle Situationen.
Hybride Beratung: Die beste Beratung wird KI und menschliche Expertise kombinieren.
Mehr Eigenverantwortung: Menschen werden selbständiger bei Finanzentscheidungen – aber auch mehr Fehler machen.
Fazit:
KI verändert die Finanzberatung fundamental. Aber sie macht sie menschlicher, nicht unmenschlicher. Wenn du KI richtig nutzt, kommst du vorbereitet in Beratungsgespräche, stellst bessere Fragen und triffst fundiertere Entscheidungen.
Aber verlasse dich nie allein auf KI. Sie ist ein Tool, kein Guru. Sie kann dir zeigen, welche Wege es gibt – aber nicht, welcher Weg der richtige für dich ist.
Meine drei wichtigsten Erkenntnisse:
- KI macht dich schlauer, aber nicht klüger: Sie gibt dir Wissen, aber keine Weisheit.
- Die besten Entscheidungen entstehen aus der Kombination von KI-Wissen und menschlicher Erfahrung.
- Wer KI ignoriert, wird abgehängt. Wer nur auf KI hört, wird betrogen.
In diesem Sinne: Nutze KI, aber hinterfrage sie. Lass sie für dich arbeiten, aber nie für dich entscheiden. Und wenn du unsicher bist, sprich mit einem Menschen, der Ahnung hat.