Grünes Label drauf, trotzdem satte Rendite drin?
Natürlich ist nachhaltiges Investieren ständig Thema in meinen Coachings und Beratungsgesprächen: „Anette, ich will nur grün investieren – auf keinen Fall in Waffen oder Firmen, die ihre Gewinne maximieren, indem sie Kinder ausbeuten!“
Meine Antwort dazu schmeckt nicht jedem. Denn ich halte nicht allzu viel davon, für ein (vermeintlich!) gutes Gewissen auf Rendite zu verzichten und das Risiko zu erhöhen.
Denn so ist es nun mal mit ESG (oder auch SRI)-Investments – sie sind nicht das, was wir uns darunter vorstellen und was uns das Marketing gerne glauben lassen möchte. Lass mich dir erklären, warum.
Wenn der DWS-Skandal die Wahrheit ans Licht bringt
Erinnerst du dich noch an den DWS-Skandal? Da wurde der Fondsriese erwischt, wie er seine Fonds grüner dargestellt hat, als sie wirklich waren. Oder an Shell, die ihre Öl-Investments als „nachhaltig“ verkauft hat? Das ist nur die Spitze des Eisbergs.
Die ungemütliche Wahrheit: ESG-Fonds sind Marketing-Gags, keine echten Nachhaltigkeitsinvestitionen.
Was ist ESG überhaupt? (Und warum es nicht reicht)
ESG steht für Environment, Social, Governance – also Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Soweit, so klar. Aber dann wird’s kompliziert: Fehlende objektive Kriterien und Überprüfungsmechanismen, unterschiedliche Werte-Systeme, willkürliche Selektion auf Seiten der Fondsgesellschaft und intransparente Datenerhebung und Verarbeitung führen dazu, dass „gut gemeint“ etwas völlig anderes als „gut gemacht“ ist.
- ESG berücksichtigt die Faktoren Umwelt („Hey klasse, Ihr habt dieses Jahr weniger Papier verbraucht als letztes Jahr? Super!“), Soziales (Oh, ihr habt einen Sportplatz gesponsort? Toll!“) und Führung („Wow, Ihr erfüllt endlich die Frauenquote auf Managementebene! Wie fortschrittlich und einfühlsam!“) der sich um ein ESG-Label bemühenden (ja, das ist freiwillig!) Unternehmen. Entschuldigt bitte meinen Sarkasmus in den Klammern – aber die Finanz- und Unternehmenswelt da draußen ist wirklich so. „Gut“ und „schlecht“ sind relativ, nicht absolut.
- SRI (Socially Responsible Investing) – also „sozial verantwortliches Investieren“ versucht einen anderen Ansatz, indem bestimmte Branchen gleich komplett aus dem Investitionsuniversum ausgeschlossen werden. Unter anderem: Kein Tabak, kein Alkohol, kein Glücksspiel, keine Pornos, keine Waffen. Hmmm, das halte ich für schwierig.
Davon abgesehen, dass wir Menschen eben MENSCHEN sind (mit all ihren Fehlern, moralischen Verwerfungen, Süchten und Irrationialitäten), ist es auch abhängig von der Situation, wie moralisch integer wir wirklich sind: Seit Beginn des Ukraine-Kriegs und der Verschärfung der Sicherheitslage hier in Europa sind 12 neue Verteidigungs-ETFs aufgelegt worden, die mittlerweile mehr als 7 Milliarden Euro verwalten… Unseren Wohlstands-Pazifismus (so erstrebenswert er auch war!) kann sich eben nur der leisten, der nicht bedroht wird.
Und wenn wir noch einen Schritt weiter denken (Gott bewahre!): In Kriegs- und Krisenzeiten sind Zigaretten, Alkohol und andere Drogen letzten Endes wertvoller als Geld (dessen Wert immer abhängig davon ist, wer dafür garantiert und ob eine solche Garantie überhaupt noch haltbar ist).
Also: Bei SRI werden Wertemaßstäbe angesetzt, die – in unserer westlichen Denke – „hohe Werte“ sind, aber sind sie das auch in der ganzen Welt? Und: sind es Deine Werte? - Impact Investing will messbare positive Wirkung erzielen. Das klingt am ehrlichsten, birgt aber das höchste Risiko weil die Bandbreite der an zur Verfügung stehenden Firmen am niedrigsten ist.
Greenwashing erkennen: Meine Bullshit-Checkliste
Nach 35 Jahren in der Finanzbranche erkenne ich Greenwashing mittlerweile am Geruch. Hier meine Red Flags:
- Keine klaren Kriterien: Wenn der Fonds nicht konkret sagt, was er ausschließt oder bevorzugt → Finger weg!
- Marketing-Bla-Bla ohne Substanz: „Nachhaltig“, „grün“, „verantwortlich“ ohne ESG-Rating oder konkrete Zahlen.
- Öl-Konzerne im Öko-Fonds: Ja, das gibt es wirklich. Schau ins Factsheet!
- Keine Transparenz bei den Kosten: Nachhaltige Fonds sind oft teurer – das sollte offen kommuniziert werden.
Standards und Labels: Hilfe oder Verwirrung?
Die EU hat versucht, Ordnung zu schaffen:
- Artikel 6: Normale Fonds (machen, was sie wollen)
- Artikel 8: „Hellgrüne“ Fonds (besitzen ESG-Merkmale)
- Artikel 9: „Dunkelgrüne“ Fonds (haben explizite Nachhaltigkeitsziele)
Das Problem: Auch bei Artikel 9 findest du manchmal Unternehmen, die du niemals erwartet hättest. Eine meiner Kundinnen war schockiert, als sie einen Atomenergie-Konzern in ihrem „dunkelgrünen“ ETF entdeckte.
Lieber „Hin zu“ als „Weg von“ – auch für die Performance
Jetzt kommt der Teil, den die ESG-Industrie nicht gerne hört: ESG-Fonds widersprechen dem momentan als wissenschaftliche Wahrheit anerkannten wichtigsten Mantra der passiven Geldanlagewelt nach Eugene Fama – niemand schlägt den Markt auf Dauer.
Warum? Ganz einfach: Ein ESG-Markt ist ein künstlich eingeschränkter Markt. Wenn Du aus einem sehr breiten Index wie dem MSCI World alle Unternehmen rauswirfst, die keinen ESG-Kriterien genügen, schließt Du auch Unternehmen aus, die möglicherweise gut performen. Du kaufst Unternehmen, weil sie (vermeintlich!) moralisch „gut“ sind und nicht deshalb, weil sie die beste Rendite-Risiko-Kombination bieten. Das ist keine Anlagestrategie sondern ein Heftpflaster auf Deiner wohlmeinenden Seele.
Wie Du hier am Beispiel (erstellt mit justETF, meinem Lieblings-Tool zum Depotbau) erkennen kannst, reduziert ein ESG-beschränkter MSCI World ETF die Anzahl der beteiligten Unternehmen um fast 700 Stück. Aus „breit“ wird so „semi-breit“ und die Rendite leidet. (Hier kommen wir nur 7 Jahre zurück – umso länger die Rückschau, umso größer wird der Unterschied.)
Noch krasser zeigt es sich am Beispiel des ÖkoWorld ÖkoVision Classic (die Fondsgesellschaft ÖkoWorld ist tatsächlich mal über jeden Zweifel erhaben – die setzen um, was sie sagen. Das ist eine der seltenen Gelegenheiten, in der ich ein Fondsmanagement außerhalb des vermögensverwaltenden Segments noch für sehr gerechtfertigt halte: Wenn ich für meine Seele einen sauberen gemanagten Artikel 9 Fonds kaufen wollte, würde ich mich bei denen umschauen.)
(Dieser Vergleich ist mit fondsweb.com erstellt – hier kann man auch gemanagte Fonds mit ETFs vergleichen.)
Wenn Du es aber ganz „richtig“ machen willst (soweit „richtig“ in der Finanzwelt überhaupt machbar ist), nimm lieber 10.000,- Euro und packe die in ein von der strategisch aufgebauten Vermögensanlage separierten Spekulationsdepot. Investiere dort explizit in Firmen die Du magst, gut findest, unterstützen willst und für wertekonform hältst. Lieber „Hin zu“ als „Weg von“ – Einschränkungen haben noch niemandem wirklich gut getan (und schon gar nicht Deiner Rendite!).
Machst Du die Welt wirklich besser?
Die ehrliche Antwort: Wahrscheinlich nicht. Du investierst in Kapitalmärkte. ALLE Firmen, die an den Börsen mitspielen, müssen im kapitalistischen Sinne wirtschaftlich sein und das hat eben seinen Preis. Solange nicht alle Investoren gleichzeitig die „bösen“ (und wer bestimmt, was „böse“ ist?) Unternehmen verkaufen, werden andere diese Aktien kaufen.
Du kannst gezielt in Unternehmen investieren, die Deine Werte vertreten. Das ist Impact Investing, und das kann funktionieren – allerdings mit höherem Risiko und möglicherweise niedrigerer Rendite. Solange RWE, Nestlé oder Philip Morris profitabel sind, finden sie Investoren – auch ohne dich.
Das war die schlechte Nachricht.
Die Gute: Alle Märkte/Unternehmen werden aufgrund des sich verschärfenden Ressourcenmangels, des unausweichlichen Klimawandels und weiterer limitierender Faktoren mit der Zeit nachhaltiger werden müssen, weil sie nur mittels effizienterer Ressourcenverwendung profitabel bleiben werden. Wer in Zukunft munter weiter mit der Umwelt saubeutelt, wird in 10 Jahren nicht mehr existieren können.
Realitätscheck von ESGs – worüber Du Dir klar sein musst
- Nachhaltigkeit ≠ automatisch gleiche Rendite – im Gegenteil, oft ist sie niedriger.
- ESG-Marketing ist oft emotionale Manipulation – lass dich nicht blenden.
- Prüfe die Fakten, nicht die Werbesprüche.
- Kleine ESG-Beimischung? Okay. Ganzes Depot nach ESG? Überlege echt zweimal – oder dreimal. oder lass es direkt 😉
Mein Rat: Strategie vor Moral
Ich baue sehr gerne wertebasierte Depots – wenn die Gesamtstrategie stimmt. Aber ich sage meinen Kunden immer: Die solideste Altersvorsorge erreichst du mit einer effizienzmarktbasierten Strategie, gerne mit einer kleinen „Werte-Delle“ als Beimischung.
Denn mal ehrlich: Was nützt es der Welt, wenn du im Alter arm bist, weil du dein Depot moralisch optimiert, aber finanziell ruiniert hast?
Das Fazit
ESG ist nicht per se schlecht. Aber es ist auch kein Allheilmittel. Wenn du investierst, um die Welt zu retten, wirst du wahrscheinlich enttäuscht. Wenn du investierst, um dein Geld zu vermehren und dabei ein halbwegs ruhiges Gewissen zu haben – dann kann ESG funktionieren.
Die Entscheidung liegt bei dir. Aber triff sie mit offenen Augen, nicht mit grüner Brille.