Ich habe mich sehr ausgiebig mit Albert Warnecke – dem Finanzwesir – unterhalten. Das alleine wäre natürlich keine gesonderte Meldung (geschweige denn ein über einstündiges Video) wert, wenn wir denn nicht ein Thema gehabt hätten, welches momentan die Finanzbildungswelt bewegt:

Ist der Finanzwesir etwa ein Verräter oder Häretiker, gar ein Kapitalist?

Für diejenigen, die die Aufregung nicht mitbekommen haben (es gibt schließlich wichtigeres im Leben), ist die Vorgeschichte zu den Vorwürfen schnell erzählt:
Albert Warnecke, von Haus aus Ingenieur, ist seit 2014 der „Finanzwesir“. Eine hochangesehene Größe der Finanzbildungsbloggerwelt.
Er hat weit über 600 bildende und unterhaltsame Artikel über Vermögensaufbau in Eigenregie geschrieben. Darüber hinaus noch ein empfehlenswertes Buch. Zusammen mit dem Finanzrocker hat er einen tollen Podcast aufgebaut, und und und …

Da Albert eine wunderbare Reichweite aufgebaut hat, hat sich um ihn herum im Laufe der Zeit eine rechte „Jüngerschaft“ gebildet. Seine Sprüche wie „Nicht arm sterben!“ haben ein Eigenleben entwickelt und ich bin der festen Überzeugung, dass seine Arbeit wirklich viel dazu beigetragen hat, dass es heute schon fast Allgemeinwissen ist, was ein ETF ist.

Grundtenor und Credo des Finanzwesirs

Die Botschaft bis dato war immer: Meide kostenintensive Produkte und den etablierten Finanzvertrieb, bau´ Dir ein ordentliches ETF-Portfolio auf, kaufe nichts, was Du nicht verstehst und sei nicht gierig.

Geht also ganz in meine Richtung. Ich fand es immer toll, unterstützend zu meinen eigenen Angeboten auch auf Seine verweisen zu können. Doppelt, dreifach und fünffach auf verschiedene Arten erzählt, sickert so mancher Bildungsinhalt deutlich besser in den Verstand von Finanzbildungshungrigen, als wenn jeder immer nur eifersüchtig sein eigenes Süppchen kocht.

Ein Schock – die Kehrtwende

Vor kurzem aber hat der Finanzwesir etwas ganz erstaunliches getan: Er hat eine positive Artikelserie über Alpha-Fonds verfasst.
Gekoppelt mit der Mitteilung, dass er sich unternehmerisch an der GmbH eines Freundes beteiligt hat, die Vermögensverwaltung unter Einbeziehung besagter Fonds betreibt.

Dazu müsst Ihr wissen: Alpha-Fonds gibt es nur in gemanagter Form.

Hier geht es gerade nicht darum, wie bei ETFs mit dem Markt zu laufen, sondern es geht ganz explizit darum, den Markt mittels Prognosen und Derivaten zu schlagen. Bzw. ihm vor allem in der Krise entgegen zu laufen (fällt der Markt, so steigt der Alpha).
Der Plan dahinter ist, dass in einem ansonsten ETF- basierten Depot durch die Einbeziehung solcher (hochkomplexen und gemanagten) Produkte in Krisenzeiten die Verluste in den ETFs durch Gewinne im Alpha kompensiert oder zumindest abgefedert werden sollen. Am Ende des Tages soll somit bei einer Erholung der Märkte dann von einem höheren Depotwert ausgehend wieder Gewinn generiert werden.
So weit, so gut. Kann man ruhig mal drüber nachdenken, denn so arbeitet man in einem ordentlich strategisch-strukturierten Depot eigentlich auch, nur eben auf eine andere Art und Weise. Aber weit gefehlt.

Nicht Nachdenken – Draufhauen ist die Devise!

Jetzt kommt die Entwicklung, an der ich mich getrieben fühlte, das öffentliche Gespräch mit Albert zu suchen:
Die Reaktion der Leser- und Kollegenschaft in den (a)sozialen Medien war zum Teil unsäglich. Es war die Rede von Verrat, von Abkehr von der „reinen Lehre“ aufgrund niederträchtiger Geldgier, vom Verlust seiner Integrität, von Ehrlosigkeit, und gar – die Krönung des schlechten Geschmacks – vom „Tod des Finanzwesirs“.
Wer sich in den Sumpf begeben mag, darf gerne „Finanzwesir – Alpha“ googeln, da kommt der ganze Mist dann in einem Schwall. (Ich verlinke das hier nicht, ich mag dem Unrat nicht noch über meinen Blog Traffic verschaffen.)

Wo ist das Problem?

Nachdem ich mich von dem Schreck, dass der Finanzwesir gestorben sein sollte (im Ernst, sowas ist NICHT WITZIG) erholt hatte und mir die Ursache des Unmuts mal durchgelesen habe, dachte ich mir nur: „Naja, worüber regt ihr Euch eigentlich auf?
Trendfolge, Momentum, Markt-schlagen und Alpha ist ja nun wirklich nix Neues, lasst den Mann doch bitte erkenntnismäßig dahin kommen, wohin er im Laufe seiner Weiterentwicklung zwingend kommen musste: Natürlich ist der Markt zu schlagen, natürlich gibt es viel mehr Wege zum Vermögensaufbau als nur ein strategisch-strukturiertes ETF-Portfolio und natürlich kann man mit Derivaten und entsprechendem Aufwand, Wissen und Einsatz auch richtig viel Geld verdienen und natürlich sind gemanagte Fonds und professionelle Vermögensverwaltung nicht immer und in jedem Fall des Teufels. Wo ist eigentlich Euer Problem?“

Entwicklung gehört dazu

Jeder (naja, vielleicht nicht jeder. Aber die Guten.) ordentlich ausgebildete Anlagespezialist, der länger in der Materie arbeitet, kommt an den Punkt, an dem Albert jetzt ist.
Die verschiedenen Strategien sind alle nicht neu. Die Anlage- und Wirtschaftswelt fängt ja nicht jeden Morgen an einem anderen Punkt an, sich zu drehen.
Je mehr Wissen und Erfahrung sich ansammeln, umso mehr gehört es dazu, sich seine eigene Anlagephilosophie zu erarbeiten.
Wenn Alberts gewachsene Philosophie jetzt die Idee „Alpha könnte ein Optimierungswerkzeug sein, welches meine Grundstruktur ergänzt“ beinhaltet, so ist das vollkommen legitim. In der Geldanlage gibt es keine in Stein gemeißelte ewige Wahrheiten. Es ist ein stetiges Verändern, Wachsen und Werden, dem jeder auf seine eigene Art und Weise Rechnung tragen muss. Dazu ist es übrigens hilfreich, finanzgebildet zu sein. Dann kannst Du Dir Deine eigene Philosophie machen und brauchst nicht sauer sein, wenn jemand anders seine Meinung ändert.

Statt also über den Finanzwesir zu sprechen, fand ich es sinnvoll, mit ihm zu sprechen

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Ich finde, es fallen einige schlaue Sätze. Es lohnt sich also sicherlich, alles anzuschauen. Für einen Überblick habe ich euch aber meine Meinung zusätzlich kurz zusammengefasst.
!!!Beachte, dass ganz am Schluss des Videos noch eine Korrektur der Kostenstruktur angefügt ist!!!!

Hier mein Fazit:

Zum aktuellen Geschehen und zur Idee:

Geradezu bewundernswert finde ich seine Souveränität und Resilienz, mit der er den Shit-Teil des Sturmes wegsteckt. Ich hätte da emotional durchaus das ein oder andere Problem damit.

Dass ihn die Idee, Mitgesellschafter einer Vermögensverwaltung zu sein und hinter den Kulissen mitmischen zu können, reizt, kann ich verstehen. Der Vorwurf des „Hach, jetzt will er den dicken Reibach machen!“ ist recht unbegründet, denn lasst Euch von einer, die es wissen muss, gesagt sein: So ohne weiteres wird dieses Geschäftsmodell mit diesem Produkt nicht die angedichteten Millionen scheffeln. Und wenn doch: Dann sind sie hart verdient und es ist in Ordnung. Wer wird denn da neidisch sein wollen?

Ich finde die Mitgesellschaftereigenschaft und vor allem die Geschäftsidee „Vermögensverwaltung“ nicht sehr glücklich und hätte mich da nicht darauf eingelassen. Aber wenn alle anderen Ideen (selbst Fonds auflegen mit einer Fondsgesellschaft, ein Wikifolio bauen und es über den Zertifikateweg vertreiben, Dimensional als Partner ins Boot holen, etc.) ausgearbeitet und verworfen wurden, so hat Albert beschlossen, dass es für sein Seelenheil allemal besser ist, es so zu versuchen als es ganz zu lassen. Alles gut.

Zur Kostenstruktur

Die Kosten betragen 1,05 % Verwaltungsvergütung plus Fondskosten (in momentaner Zusammensetzung gewichtet 0,65 % p.a.).
Dazu kommt eine entwicklungsabhängige Perfomancegebühr (in 2020 waren es 0,61 %, leider habe ich darüber in den öffentlich zugänglichen Dokumenten nichts gefunden und konnte sie auch rechnerisch nicht eindeutig nachvollziehen).
Außerdem fallen 20,- € Transaktionskosten pro Bewegung (oder 0,25 %, je nach gewähltem Kostenmodell) an. Das ist natürlich nicht günstig, aber geht so. Es ist schließlich eine Vermögensverwaltung, die sind nun mal nicht billig.
Wie das mit den Kickbacks (Rückvergütungen von den Fondsgesellschaften) ist, habe ich leider vergessen zu fragen. Es wäre wünschenswert, wenn sie wie bei einem Honorarberater an die Kunden durchgereicht würden. Da hier aber keine Honorarberaterzulassung, sondern eine normale Provisions-Vermittlungs-Zulassung vorliegt, kann ich dazu nichts sagen.

Bringt das was?

Ob die Anlagephilosophie „Alpha bringts“ in der Form, wie Democratic Alpha es versteht und zusammenbaut, erfolgreich (definiere Erfolg!?) sein wird, wird die Zeit weisen. Ich kann es von der Idee und Logik her nicht falsch finden. Gleichzeitig bin ich aber auch weit davon entfernt, es richtig zu finden. Es ist einfach ein anderer Ansatz.  Genauso, wie eine Dividendenstrategie ein anderer Ansatz ist. Oder eine Einzeltitelstrategie. Oder Optionsstrategien. So wie jeder denkbare Ansatz wird er Anhänger und Gegner finden.
Nochmal: Es weiß niemand, wie die Welt sich weiterdrehen wird! Mir persönlich genügt es (und das schlägt sich eben auch in meiner Anlagephilosophie und dem, was ich lehre, nieder), wenn ich weiß, dass sie sich weiterdreht.
Ich nutze und erkläre solche komplexen Vehikel für meine Coaching- und Finanzbildungs-Kunden nicht, da ich tatsächlich der Meinung bin, dass sie besser in den „Vermögen-Sichern und Erhalten“ – Bereich der Geldanlage passen als in den Vermögensaufbau. Meine Philosophie eben. Nicht richtig oder falsch, sondern mein. 😉

Das Gespräch

Ich habe das Gespräch sehr genossen. Die Kommunikation von Albert an seine Follower, ist vielleicht nicht ganz reibungslos gelaufen. Alte Blogartikel ohne Kenntlichmachung zu redigieren oder fehlerhafte Preise in Factsheets zu veröffentlichen ist natürlich nicht hilfreich beim Vermitteln neuer Ideen. Aber in meinen Augen ist der Finanzwesir weit davon entfernt, seine Glaubwürdigkeit und Integrität verloren zu haben.
Wer so etwas denkt, sollte sich
a) die Mühe machen, seine Artikel und dieses Interview nochmal zu lesen/hören und vorurteilsfrei versuchen, die Materie zu verstehen oder
b) schauen, wo er ein Problem mit sich selber hat (herzliche Grüße an Hr. Prof. Dr. Walz).

Ich finde es sehr mutig,

dass Albert uns an seiner Entwicklung teilhaben lässt. Er hätte genauso gut ewig auf der alten Schiene weiterarbeiten (und Geld verdienen) können. Hätte ja keiner mitbekommen, wenn er sich in sein eigenes Depot ein paar Alphafonds legt…
Aber wirkliche Bildung führt am Ende immer auch zu Veränderungen. Umso besser, wenn dann noch der Mut dazu kommt, „neue Wegen zu denken“ und gar umzusetzen. Welche Sorte Lehrer wäre man denn, wenn man selbst wissens- und entwicklungsmäßig immer schön auf der Stelle tritt?

In diesem Sinne:

In meinen Augen wird hier zu viel Wind um etwas gemacht, was durchaus nachvollziehbar ist.
Ich bin jedenfalls gespannt, wo Alberts Weg ihn hinführen wird und freue mich auf seine zukünftigen Artikel.
Was meinst du? Schreibe mir gerne Deine Meinung in die Kommentare!